Fakten & Hintergrund Besser als jeder Politik-Unterricht

Viersen · In Viersen ist das kommunalpolitische Praktikum gestartet. Mehr als 70 Schüler lernen ganz praktisch, wie Politik vor Ort funktioniert. Unser Autor war dabei.

Beim Speed-Debating konnten die Schüler jeweils gut fünf Minuten mit den Vertretern der verschiedenen Parteien sprechen. Dann läutete eine Kuhglocke, weiter ging’s zum nächsten Politiker.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Politiklehrer sollen sich bitte nicht auf den sprichwörtlichen Schlips getreten fühlen — denn auch der beste Politik-Unterricht kann nicht das leisten, was in den kommenden Wochen 76 Schüler der weiterführenden Schulen in Viersen beim kommunalpolitischen Praktikum erfahren: hautnah erleben sie mit, wie Politik vor Ort funktioniert. Wie sie sich und ihre Ideen von einem besseren Viersen einbringen können. Und bereits beim Auftakt am Dienstagabend im Erasmus-von-Rotterdam-Gymnasium waren einige ganz erstaunt: „Wie, ich kann einfach so zu einer Fraktionssitzung kommen?“

Ich war dabei, sollte als Journalist zu Beginn ein bisschen was darüber erzählen, wie Kommunalpolitik funktioniert. Es schimpft sich ja immer schnell und leicht über „die Politiker da oben“. Wie viel die Politiker in Viersen eigentlich verdienen, habe ich die Schüler gefragt. Einer wusste es: „Nichts!“ Stimmt: Politik in einer Stadt, in einer Gemeinde ist ein Ehrenamt. Nach Feierabend fräsen sich die Ratsmitglieder und sachkundigen Einwohner durch die Ausschussvorlagen, besuchen Fraktionssitzungen oder lassen sich bei Veranstaltungen blicken. Dafür gibt’s eine Aufwandsentschädigung, die aber üblicherweise zu großen Teilen an die Parteien abgegeben wird.

„Wisst ihr, wie viel ein Ratsmitglied verdient?“ Unser Autor Martin Röse erzählte zu Beginn etwas über Kommunalpolitik.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Dass Konflikte zur Demokratie dazugehören, sie sogar ihr Wesen ausmachen, weil es lohnt, miteinander über das richtige Ziel und den besten Weg dorthin zu streiten, habe ich gesagt. Denn niemand ist allwissend. Und dass die Gestaltungsmöglichkeiten für die Politiker begrenzt sind, weil die Steuereinnahmen nun mal nicht unendlich sind und es Pflichtaufgaben gibt, die eine Stadt auf jeden Fall leisten muss. Und ich habe verschiedene Ratsmitglieder gefragt, wie sie zur Politik gekommen sind. Maja Roth-Schmidt, Sprecherin der Grünen-Fraktion, sagte beispielsweise, dass sie als dreifache Mutter dafür sorgen will, dass auch ihre Kinder noch eine lebenswerte Welt vorfinden und sie deshalb den Klimawandel bekämpfen will. Und CDU-Ratsherr Jan Winterhoff deutete in die Aula. „Vor sechs Jahren habe ich am kommunalpolitischen Praktikum teilgenommen. So kam ich zur Politik.“

Am Dienstagabend saß unter anderem Alice aus der 9b des Albertus-Magnus-Gymnasiums in der Aula. „Ich habe mich angemeldet, weil ich wissen will, wie das mit der Politik genau geregelt ist, wen wir überhaupt wählen. Ich erhoffe mir mehr Kontakte, will mich besser auskennen.“ Und ihre Klassenkameradin Alina ist dabei, weil sie sich ohnehin für Politik interessiert. „Hier kann ich live Fragen stellen, das finde ich prima.“

Genau das konnten die Schüler dann beim Speed-Debating mit den Vertretern von CDU, SPD, Grünen und FDP. Die Fragen gingen querbeet: von der Brennbarkeit von E-Autos (gerichtet an die Grüne Maja Roth-Schmidt) über die Frage, wie es mit Schulsanierungen in Viersen aussieht bis zur Bewertung der Arbeit der Ampel-Koalition auf Bundesebene (gerichtet an CDU-Ratsherrn Winterhoff). Im Anschluss mussten sich die Schüler — alle von Klasse 7 bis zur Oberstufe — entscheiden, bei welcher Fraktion sie ihr Praktikum fortsetzen wollen. Gut möglich, dass dsich in einigen Jahren der eine oder andere von ihnen zur Wahl aufstellen lässt.