Tönisvorst Als der Pfarrer verprügelt wurde
Mit dem Fahrrad war eine Gruppe aus Vorst zu einer historischen Rundtour durchs Kehn unterwegs. Und erfuhr Unterhaltsames.
Vorst. Man kann’s nicht anders nennen: Wenn eine Veranstaltung am Niederrhein zum zehnten Mal stattfindet, dann ist sie zementierte Tradition. So als hätte es sie immer gegeben. Und genau zum zehnten Mal hatten Vorster Heimatverein und Seniorenbegegnungsstätte Alte Post zur Radtour geladen. Und es sollte historisch werden, genauer gesagt: historisch-unterhaltsam. Ins Kehn ging’s unter der Leitung von Heinz-Gerd Schuh.
Start am Markt, fürs „Beweisfoto“ postiert sich die Gruppe vor die Pfarrkirche St. Godehard, bevor’s Richtung Bruch auf die Reise geht. Natürlich steht ein Halt am Haus Donk an. „Das ist schon im 12. Jahrhundert nachweisbar“, sagt Heinz-Gerd Schuh. Vor einigen Jahren lebte in den historischen Mauern mal eine Weile Kasey Keller, amerikanischer Torwart von Borussia Mönchengladbach. Heute ist in dem Gebäude ein Wellness-Tempel eingerichtet.
Hier verlief in etwa auch die Grenze zwischen den Ämtern Kempen und Liedberg. „Die Herren von Haus Donk haben immer versucht, Einfluss in Vorst zu nehmen“, erklärt Schuh. Und das sei durchaus auch schon mal rabiat gewesen. Habe sich der Pfarrer nicht „richtig“ verhalten, konnte es ihm passieren, dass er auf Höhe des Hunningshofes angehalten und verprügelt wurde. Und zwischenzeitlich gab’s tatsächlich mal die merkwürdige Situation, dass die Bewohner zu Kempen gerechnet wurden, das Land aber zum Kehn.
Weiter ins Kehn hinein. Einer der wichtigsten Höfe war der Pimpertzhof, der urkundlich bereits 1085 erwähnt wird. Die Abgabe an die Herren, der „Kehner Zehnt“, wurde bisweilen auch „Pimpertz Zehnt“ genannt. Die Besitzer des Hofes waren auch an einer nahgelegenen Mühle beteiligt. Diese Geschäftsgrundlage brach mit Napoleon weg, als es allen gestattet wurde, in Eigenregie zu mahlen.
Seit 1919 ist der Hof im Besitz der Familie Gather. Im Jahr 1903 fand hier das große Gau-Turnfest statt, das der TV Vorst zu seinem 25. Jubiläums ausrichtete. „Für die gemietete Festwiese hat der Verein 45 Mark bezahlt“, weiß Schuh.
Weiter zum Reinershof. 1886 steht auf dem Stein über der Toreinfahrt. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz. „Erbauer waren Fander und Busch. Die Hinweise auf den ursprünglichen Besitzer Reiners sind eher spärlich. Dennoch ist es Schuh gelungen, Spuren zu finden. Im Willicher Stadtarchiv. „Er steht unter einer ganzen Reihe von Geburtsurkunden“, erzählt der 80-Jährige.
Über ganz viele Jahre war der Grungshof das wichtigste Gebäude im Kehn. Er taucht bereits in einer Erwähnung aus dem Jahr 1750 auf. An der Scheune des Gebäudes wird an einen Herrn Grungs erinnert, gebürtiger von Danwitz. Ja, hier sitzt wohl die Keimzelle der bekannter Vorster Familien. Der erwähnte Herr Grungs seinem Neffen das Anwesen übergeben. „Hier soll auch die berühmte Linde gestanden haben, unter der die Kehner sich zu Versammlungen trafen“, so Schuh.
Auch wenn das Gebilde Kehn als Ort nicht wirklich eine Identität hatte, eine gewisse eigene Gerichtsbarkeit gab es. Wenn höhere Instanzen eingeschaltet werden mussten, ging’s zum Amt Liedberg in Anrath. Nachdem Napoleon und in seinem Schlepptau die Franzosen als Besatzer abgezogen waren, kam Vorst auf etwas krummen Pfaden zum Ortsteil Kehn. Nachdem es zunächst Krefeld zugeschlagen worden war, bekamen die Vorster etwa 1819 den Zugriff.
Wo gingen die Kehner eigentlich früher zur Kirche? „Der Berschel war die Grenze“, sagt Schuh. Die einen besuchten St. Johannes in Anrath, die anderen St. Godehard in Vorst.
Die Radtour ist schon ein gutes Stück wieder Richtung Heimat unterwegs, als sie bei Holtermann, in der Nähe von Groß Lind, noch eine Erfrischungspause einlegt. „Hier werden für uns extra Bänke rausgestellt und dann kann man auch über Dinge diskutieren und lästern, die mit dem Ausflug nichts zu tun haben“, erklärt der „Reiseleiter“.
Wenig später geht’s auf die letzte Etappe durch die Huverheide und Hahnenweide, vorbei an Haus Neersdonk zurück. Und als spiele die heiße Witterung keine Rolle, wird in der Alten Post zum Abschluss eine kräftige Gemüsesuppe gereicht, „mit viel Speck“, betont Heinz-Gerd Schuh.