Anrath: Erfolgsautor in der Schule
Ulf Erdmann Ziegler las im Lise-Meitner aus seinem Debüt-Roman „Hamburger Hochbahn“.
Anrath. Ulf Erdmann Ziegler sitzt entspannt wie ein Pennäler, der seine Gelassenheit auch vermitteln will, an einem Pult. Er blättert in einem abgegriffenen Roman-Exemplar, gebundene Ausgabe, Titel: "Hamburger Hochbahn".
Das Buch ist sein Buch, nicht gerade erst heraus gezogen aus einem der dicht bestückten Regale zum Stichwort "Deutsch" hinter ihm in der Bücherei des Lise-Meitner-Gymnasiums.
Ziegler wirkt konzentriert, schaut aber fast ein wenig schüchtern. Er lässt seinen Blick nicht schweifen. Er sieht nicht auf die vielen Schüler im Stuhlhalbkreis vor ihm, nicht aus den Turmfenstern, die den Blick auf den grauen Winterhimmel über Anraths Dächer gestatten.
Ziegler wartet auf seinen Einsatz. Seine Finger streifen winzige Zettel, die aus den Seiten herauslugen und ausgesuchte Lesestellen markieren. "Ich plane immer, was ich lese. Ich lese nie dasselbe."
Der Mann, geboren 1959, seit zwei Jahren ein Prominenter der deutschen Gegenwarts-Literatur-Szene, ist, sagt er, das erste Mal als lesender Autor in eine Schule eingeladen worden.
Das junge Publikum vor ihm setzt sich aus Deutsch-Leistungskursen zusammen. Vielleicht erinnert ihn der ein oder andere an seine eigene Zeit als Pennäler, in intellektueller Aufbruchstimmung, damals, in den 70er Jahren in Neumünster/Holstein.
Zieglers Besuch in Anrath ist auch ein Wiedersehen mit Ute Andresen. Andresen, Lehrerin für Deutsch und Englisch am LMG, ist mit Ziegler zur Schule gegangen. "Wir sind nicht derselbe Jahrgang, aber wir haben zusammen in der Schülerzeitung geschrieben", sagt Ziegler. "Initiative hieß das Blatt", sagt er.
Nun hat Andresen die Initiative ergriffen und den Friedrich-Hebbel-Preisträger von 2008, den gefeierten Erfolgsautoren, nach Anrath eingeladen. 27 Jahre haben sich die beiden nicht gesehen. Andresen: "Ich gehörte früher bereits zu seinen Fans. Er hat damals schon gute Sachen geschrieben."
"Lesungen sind oft populärer als Bücher", sagt Ziegler. Man lebe halt in einer Hörer-Republik. Vier Passagen aus seinem Roman wird er lesen. Ziegler ist kein Entertainer-Typ, kein Rufus Beck, der mit Stimmen und Stimmungen jongliert, dass einem beim Zuhören schwindelig wird.
Aber Ziegler fesselt trotz oder gerade wegen seiner Zurückhaltung und mit seiner Sprache. Er streift lesend zwei Lebenswege, die des Architekten Thomas und der Bildhauerin Elise. Die Anrather Schüler reisen gedanklich mit ihnen nach Lüneburg, Hamburg und St. Louis. Sie hören zu, sind ausgesprochen aufmerksam.
Zieglers Sätze pflanzen ihnen Bilder ein, die Dialoge wirken so echt, als säße man hinter Thomas und Elise im kastigen K70 auf dem Weg nach Dänemark. Seltsam fern und fremd müssen aber die 70er und 80er Jahre mit klappernder Schreibmaschine und Wagen ohne Zentralverriegelung auf die jungen Leute wirken.
Ob sie tatsächlich mehr von Thomas und Elise wissen wollen? Ob ihnen das einstündige Vorlesen gereicht hat? Sie applaudieren, bleiben aber zurückhaltend, während Deutsch- und Philosophielehrer Stefan Strucken, der moderiert, zum begeisterten tête-à-tête-Dialog ansetzt.
Ziegler hat sein Buch zur Seite gelegt. Fertig. Gelesen, Wort für Wort, Satz für Satz, jeder einzelne von ihm selbst formuliert. Wenn Zieglers Zuhörern das bewusst wird, wissen sie, dass sie einen besonderen Moment erlebt haben. Hautnah, authentisch und nicht zufällig heraus gesogen aus einem der Bücher im Regal.