Buch-Tipp der Stadtbücherei Tönisvorst Als Musiker um ihr Leben spielten
Tönisvorst · Die Leiterin der Tönisvorster Stadtbücherei stellt das Buch „Mr. Goebbels Jazz Band“ von Demian Lienhard vor.
Beim Titel dieses Buches habe ich erst gestutzt: Mr. Goebbels Jazz Band. Doch nicht etwa der Joseph Goebbels?, dachte ich. Und: Wieso Jazz Band, das passt nicht zusammen, galt ja Jazzmusik bei den Nationalsozialisten als „entartete“ Musik. Und doch, dieser Buch-Titel
passt!
Der Roman erzählt nämlich die Geschichte einer der bizarrsten Propaganda-Aktionen der Nazis: Seit 1940 sendete der Deutsche Auslandssender „Germany Calling“ Propagandameldungen in englischer Sprache. In dem musikalischen Sendeteil wurden bekannte Songs textlich abgewandelt, um mit absurden Neuinterpretationen die Moral der Feinde zu untergraben. Und weil man schnell erkannte, dass englischsprachige Meldungen unterlegt mit deutscher Marschmusik nicht den Geschmack des Zielpublikums trafen, gründete man kurzerhand „Charlie and his Orchestra“. Da dies explizit mit Zustimmung des Präsidenten der Reichskulturkammer umgesetzt wurde, hieß das Musikensemble intern nur noch „Mr. Goebbels Jazz Band“. Engagiert wurden dafür die besten europäischen Musiker, darunter Juden, Homosexuelle oder Kommunisten, Menschen, die den Nazis nicht gerade sympathisch waren. Aber Propaganda galt als kriegswichtig, da dachte man pragmatisch, jedes Mittel war recht. Die Musiker aber spielten im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben, waren sie doch während ihres Engagements vor einer Einberufung oder vor Verfolgung geschützt.
Moderiert wurden die Propagandasendungen ins Ausland von William Joyce, Deckname Lord Haw-Haw, einer schillernden Person, die als hochrangiges Mitglied der „British Union of Fascist“ aus England fliehen musste und als Kollaborateur direkt im Propaganda-Imperium der Nazis landete.
Eine scheinbar absurde Geschichte, die aber – und das ist das Besondere – bis ins letzte Detail belegt ist. Autor Demian Lienhard schwebte aber kein trockenes Sachbuch vor, sondern eher ein fesselnder Roman, und so bedient er sich eines literarischen Tricks: Er führt eine fiktive Person in die Geschichte ein. Ein bis dahin erfolgloser junger Autor, Fritz Mahler, soll den Werdegang der Band, vor allem aber den des eitlen Moderators William Yoyce dokumentieren und literarisch würdigen. Ungläubig verfolgt man, wie Mahler für seine Recherchen der Jazz-Band bei reichlich Martinis durch obskure Spelunken und illegale Jazz-Keller folgt, wie er sich im Laufe seiner Arbeit aber auch immer intensiver auf die Person William Joyce konzentriert, den englischen Nazi, der nach Deutschland kam und Karriere machte.
Dieser sprachlich raffinierte und mit feiner Ironie erzählte Roman hält manche spannende Wendung bereit. Es erscheint unfassbar, dass sich diese perfide Propaganda-Aktion tatsächlich so abgespielt hat; kein noch so fantasiebegabter Drehbuchautor hätte sich diese Geschichte ausdenken können!
In einem Nachwort erfährt man vom Schicksal der einzelnen Musiker. Die meisten von ihnen spielten nach dem Krieg einfach in verschiedenen Bands in amerikanischen Soldatenclubs weiter. Auch das Schicksal von William Joyce ist belegt: Er wurde festgenommen, in England wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt. Eine temporeiche Persiflage auf die manipulative Wirkung von Musik und Sprache.