„Gartenlesung“: Moritäten und Bänkellieder
Die Schauspieler erzählten skurrile und grausame Geschichten aus alten Zeiten.
Neersen. Die Zahl der Plätze war von 80 auf 100 aufgestockt werden, und trotzdem bekam nicht jeder, der wollte, eine Karte. Die „Gartenlesung“ am Sonntag stieß auf ungewöhnlich große Resonanz. Es ging diesmal um Moritaten, Bänkellieder und „gar schröckliche Geschichten“. Claudia Dölker, Isabell Dachsteiner, Sven Post, Thomas Kornmann und Hartmut Scheyhing entführten die Zuschauer in eine vermeintlich fremde Welt.
Im Laufe der Vorstellung wurde deutlich, dass schon vor 700 Jahren skurrile, grausame Geschichten gerne gehört wurden. Für die musikalische Konzeption war Hartmut Scheyhing zuständig. Noch bevor die Akteure in Innenhof der Vorburg zu sehen waren, hörte man die Klänge von ungewöhnlichen Musikinstrumenten. Isabell Dachsteiner nutzte einen alten Kochtopf als Trommel.
Das erste Lied war das bekannteste: „Und der Haifisch, der hat Zähne“, sang Claudia Dölker, ohne dabei das Schauspielern zu vergessen. Während dieser Text Bertolt Brecht zuzuordnen ist, gehörten auch Texte von unbekannten Autoren zum Repertoire. Wie der vom Schuster, der sich beide Augen aussticht, weil seine Frau ihn permanent betrügt. Die wird wenig später in ein Irrenhaus gebracht.
Es waren fast ausschließlich sehr deftige Geschichten. Manchmal hatten sich die Akteure die künstlerische Freiheit genommen, um sie mit aktuellem Geschehen anzureichern. Der Gruseler, der sich vor nichts zu gruseln schien, so sehr er sich auch bemühte, stammt aus der Feder von Klaus-Peter Schreiner. In der Version, die Scheyhing sang, erlangte er die ersehnte Grusel-Befriedigung: Indem er „Wetten, dass . . . ?!“ einschaltete.
Die sechs Akteure zeichnete Bilder aus längst vergangenen Zeiten mit scharfen Konturen, brachten auch die Lebensweise der Wanderschauspieler rüber, verschwiegen zwar nicht, welch „hartes Brot“ es war, aber machten auch die Faszination nachvollziehbar. Die Situation im Mittelalter schilderte Isabell Dachsteiner: „Das Publikum war nicht gerade anspruchsvoll, der Statthalter und der Klerus waren oft gegen die Schauspieler.“ Die Komödianten gingen ihrem Beruf selbst während des 30-jährigen Krieges nach — so manch schauriges Spektakel, wird sie inspiriert haben.
Hat sich in der Zeitspanne von 700 Jahren nichts verändert? Nun, dass der Graf seine hübsche Tochter auf bestialische Weise ermordet, weil sie ein Techtelmechtel mit dem Verwalter hat, dürfte im Jahre 2013 unwahrscheinlich sein. rudi