Geschichte Kanadier suchen Spuren ihrer Familie

Die Vorfahren von Joe Servos wurden Opfer des Rassenwahns der Nazis. Mit seiner Frau besuchte er Orte des Verbrechens.

Foto: Janis Beenen

Anrath. Lange haben Joe und Pamela Servos überlegt, ob sie diese Reise antreten sollen. Eine Reise, die das Ehepaar zu Plätzen führt, an denen Joes Vorfahren Opfer des Rassenwahns der Nazis wurden. Letztlich haben sich die beiden Kanadier, die in Toronto leben, entschlossen, die Orte des Verbrechens zu besuchen.

„Ich werde nicht jünger und dachte, es wird Zeit, die Herkunft meiner Familie zu ergründen. Wir waren ja noch nie in Deutschland“, sagt der 68-jährige Joe Servos. Aktuell besucht er mit seiner Frau Anrath und Krefeld. Hier hat die jüdische Familie Servos über viele Generationen gelebt.

Die systematische Verfolgung durch die Nazis nahm ihnen ihre Heimat. Manche Familienmitglieder konnten fliehen, viele wurden deportiert und ermordet. Joe Servos’ Großvater, der in Krefeld erfolgreicher Händler war, wurde 1943 im Konzentrationslager Riga ermordet. Seine Frau Martha starb 1944 im KZ Stutthof.

„Mein Vater Heinz floh 1939 als 17-Jähriger nach England“, sagt Servos. Dort kam er nach Kriegsausbruch in Kriegsgefangenschaft. Die Briten unterschieden zunächst nicht zwischen deutschen Soldaten und Flüchtlingen. Später wurde er nach Kanada gebracht. Noch während des Krieges ließen die Briten ihn frei. Er blieb in Kanada und arbeitete auf einem Bauernhof. Dort lernte er seine spätere Frau kennen.

„1966 starb mein Vater. Da war ich gerade 18. Wir haben nie wirklich über seine Geschichte gesprochen. Das hat mich als Teenager nicht interessiert“, sagt Servos. Erst in den vergangenen Jahren hat er sich mit seinen Vorfahren beschäftigt. Im Rahmen seiner Recherchen ist das Ehepaar Servos auf Verwandte in den USA getroffen. Über sie entstand ein Kontakt nach Willich.

Seit vielen Jahre beschäftigt sich Bernd-Dieter Röhrscheid im Rahmen der Initiative „Gegen das Vergessen — Stolpersteine in Willich“ mit der Geschichte der Familie Servos. Er hat umfangreiche Stammbäume angefertigt und die Verlegung von Gedenksteinen organisiert. Gemeinsam mit Stadtarchivar Udo Holzenthal führt er Joe und Pamela Servos durch Anrath.

Ihre Vorfahren lebten an der Jakob-Krebs-Straße und in der heutigen Niederlassung der Volksbank am Markt. Am Kirchplatz 6 wohnte Max Servos, das wohl bekannteste Familienmitglied. Er war Mitbegründer des Turnverein Anrath. Vor allen Häusern erinnern Stolpersteine an die Verfolgung der Familie.

Häufig halten Joe und Pamela kurz inne. „Das sind bewegende Momente“, stellt Joe Servos fest: „Mir gefallen die Stolpersteine. Das ist ein wundervoller Weg der Erinnerung.“

Während des Rundgangs durch Anrath äußert er immer wieder seine Dankbarkeit für Röhrscheids Arbeit: „Ohne ihn hätte ich nie erfahren, wie groß meine Familie ist.“ Seine Frau ergänzt: „Es ist unglaublich, welche Arbeit für unsere Familie geleistet wird.“