Nicht vergessen und Verantwortung übernehmen

Mehr als 50 Menschen gedachten in Vorst der 1,1 Millionen Toten im Vernichtungslager Auschwitz.

Foto: Lübke

Vorst. Regen, Hagel und Kälte wurden am Dienstagnachmittag von einem zum anderen Moment ausgeblendet. Das Innehalten auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Vorst war geradezu symbolisch. Was ist ein vorübergehendes Frösteln gegenüber einer andauernden, nicht abzuschüttelnden Gefühlskälte, die von dem Grauen der Geschehnisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ausgeht? Unaufhörlich. Bis heute.

Vor 70 Jahren befreite die Rote Armee Menschen aus dem Vernichtungslager. Bilder und Erzählungen gaben der Weltöffentlichkeit damals erstmals den Blick auf Abgründe der menschlichen Seele frei. 1,1 Millionen Menschen sind allein dort ermordet worden.

Wie dies möglich wurde, wie man es zulassen konnte, wie Täter so handeln und Menschen wegsehen konnten — Fragen wie Bürgermeister Thomas Goßen sie am Dienstag im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus stellte, bleiben. Mehrere Dutzend Menschen erinnerten sich gemeinsam, stellten sich der Verantwortung für den Teil deutscher Geschichte.

Seine Lektion, sagte Goßen, der ohne Manuskript redete, habe er als 15-Jähriger in Tel Aviv gelernt. Er habe damals an einem Obststand eine Melone kaufen wollen. Er habe auf Englisch bestellt, der Verkäufer, ein älterer Mann, habe auf Deutsch geantwortet: „Wo kommst Du her? Warum besuchst Du diese Stadt? Das hat er mich gefragt“, erzählte Goßen.

Dann habe der alte Mann den linken Ärmel hochgezogen und ihm die eintätowierte Nummer gezeigt, die er als Insasse in Auschwitz bekommen hatte. Der jungen Generation, der Goßen als Teeanger angehörte, gab der Mann damals, 1985, eines mit auf den Weg: „Ihr seid nicht schuld. Aber es ist eure Verantwortung, dass so etwas nicht mehr passiert.“

Pfarrer Ludwig Kamm zitierte ein Gebet, das Papst Johannes Paul II. einst in Auschwitz für das jüdische Volk gebetet hat: „Steh ihm bei, damit es Achtung und Liebe von denen erfährt, die noch nicht das Ausmaß seiner Leiden verstehen, und von denen, die solidarisch, im Bewusstsein gegenseitiger Sorge, den Schmerz und die Wunden des jüdischen Volkes mitfühlen.“