Ausstellung in Eller Die Schönheit im Wartesaal
Düsseldorf · Die Kunstakademie-Klasse von Katharina Wulff stellt derzeit im Kulturbahnhof Eller aus. Ein besonderer Raum dort blüht geradezu auf.
Katharina Wulff verkörpert den neuen Typ einer Akademie-Professorin. Sie wirkt still und eher zurückhaltend. Als der damalige Rektor Karl-Heinz Petzinka ihren Namen in der Aula bekannt gab, war sie eine Unbekannte. Als sie sich im November 2020 den Studierenden mit einem Lichtbildervortrag vorstellte, wirkte sie so jung, als studiere sie noch selbst. Kein weiblicher Macho, keine Power-Frau, sondern eine Künstlerin, die die Malerei liebt und das Malerische mit dem Erzählerischen verbindet.
Sie wurde 1968 in Ostberlin geboren und erlebte die Geschicke der DDR von Kindesbeinen an, wuchs sie doch direkt am Grenzübergang nach Westberlin auf, wo die bewaffneten Soldaten patrouillierten. Vergebens hatte ihr Vater als Lehrer schon kurz nach ihrer Geburt eine Position in Afrika beantragt, um die DDR verlassen zu können, und musste stattdessen mit Hanoi mitten im Vietnamkrieg vorliebnehmen. Sie selbst zog mit 16 Jahren in den vierten Hinterhof eines Mietshauses am Prenzlauer Berg in Berlin – in eine Wohnung, die ihr Freund nach der Entlassung aus dem Gefängnis Schwarze Pumpe bekam; er war wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt eingesperrt worden. Ein Jahr vor dem Fall der Mauer konnte sie von Ost- nach Westberlin wechseln, an der Hochschule der Künste studieren und als angehende Künstlerin die Malerei verteidigen.
Konsequenterweise übernahm sie die Klasse von Siegfried Anzinger, dem großen Geschichtenerzähler und Maler, in dessen Räumen zuweilen die Fetzen flogen und am Ende gewaltige Farbräume mit spannenden Erzählungen entstanden. Einige Studierende aus seiner Ära sind nun in ihrer Klasse eingeschrieben. Aber hier geht es ruhiger zu, es wird eher auf Harmonie geachtet. Das zeigt sich in zwei riesigen Panoramabildern, die 15 Studierende in nur drei Wochen auf eigens aufgespannte und mit Leisten versehene Stoffe im Kulturbahnhof Eller malten. Eine malerische Glanzleistung, die als Beitrag zum 250-jährigen Bestehen der Kunstakademie gedacht ist, und zwar als Eigenleistung der jungen Generation. Katharina Wulff ließ ihre Eleven leider notgedrungen allein.
Wulff lebt in Marrakesch
und korrespondierte online
Sie wohnt in Marokko, wo sie sich 2004 ein traditionelles Riad in der Medina von Marrakesch gekauft und mit einheimischen Kunsthandwerkern saniert hat. Die Medina ist der mittelalterliche Stadtkern aus der Berberzeit. Aber in einer Entfernung von 74 Kilometern lag vor wenigen Wochen das Epizentrum eines verheerenden Erdbebens mit 2000 Toten. Sie konnte und wollte Marrakesch nicht verlassen. Sie korrespondierte ausschließlich online. Aber sie hatte in Ora Katz, der Tochter des berühmten Fotokünstlers aus Köln, eine beispielhafte Tutorin, die die Klasse zusammenhielt. All die unabhängigen jungen Leute fanden sich zu einem bezaubernden Gesamtkunstwerk mit springendem Hasen, in den Himmel führenden Treppen und einem mächtigen schwarzen Vogel zusammen, der einen armen Teufel von Ikarus in seinen Fängen hält.
Die einstige Wartehalle des Kulturbahnhofs blüht geradezu auf. Es entsteht der Eindruck des Homogenen, indem die Studierenden einfach Seite an Seite gearbeitet haben. Dabei muss der Funke von einem Pinselhelden zum nächsten übergesprungen sein. Eine solche Kooperation ist selten. Nun grüßen prächtige Kronleuchter, lachende Schamanen und zwischen Decken und Fenstern verstaute Porträts der jungen Künstler. Über ein Losverfahren wurde bestimmt, wer welchen Kommilitonen malen musste. Die abwesende Professorin ist dabei auch im Bild.
Immerhin mailte Katharina Wulff ihre Rede, die sie ursprünglich zur Vernissage halten wollte. Sie hält sich ans berühmte Rilke-Zitat von 1898 über die Kunst: „Kunst ist Kindheit nämlich. Kunst heißt, nicht wissen, dass die Welt schon ist, und eine machen. Nicht zerstören, was man vorfindet, sondern einfach nichts Fertiges finden. Lauter Möglichkeiten. Lauter Wünsche. Und plötzlich Erfüllung sein, Sommer sein, Sonne haben. Ohne dass man darüber spricht, unwillkürlich.“ Rilke, der große Lyriker, nennt im weiteren Verlauf seines Textes das Kunstwerk „ein tief inneres Geständnis, das unter dem Vorwand einer Erinnerung, einer Erfahrung oder eines Ereignisses sich ausgiebt und, losgelöst von seinem Urheber, allein bestehen kann.“
Er spricht auch von Schönheit und vom sorglosen Sich-Loslassen, im Vertrauen auf ein sicheres Ziel. Er spricht damit nicht nur der Professorin, sondern auch ihren Studierenden aus dem Herzen.