Widerspruch der ehemaligen Opfer Das dunkle Erbe der Heimerziehung
Düsseldorf · In drei Wochen ist im Landtag eine Veranstaltung zur Anerkennung des Leids geplant. Aber die Betroffenen sind skeptisch.
Das sind Worte, die sich keiner gerne anhört bei offiziellen Gedenkveranstaltungen. „Schämen Sie sich“, sagte Manuela Nicklas-Beck am 13. Mai im Museum für Kommunikation in Berlin an die Adresse der Gäste aus Politik und Kirchen. Die Betroffenenvertreterin ließ an der Stiftung Anerkennung und Hilfe, in deren regionalem Fachbeirat Schleswig-Holstein sie selbst sitzt, kaum ein gutes Haar: „Die Stiftung ist ein politisches Organ, um sich auf der politischen und kirchlichen Ebene reinzuwaschen.“
Stiftung soll Ex-Heimkinder der Behindertenhilfe entschädigen
„Zeit, über das Leid zu sprechen“ war die Veranstaltung am Montag vor zwei Wochen überschrieben – und immerhin besaß die Stiftung die Größe, die kritischen Töne in voller Länge durch Videoaufzeichnungen auf der eigenen Internetseite zu dokumentieren. Seit Januar 2017 besteht die Stiftung, um Heimkinder, die zwischen 1950 und 1975 in der BRD und von 1949 bis 1990 in der DDR in Behindertenheimen, Krankenhäusern und psychiatrischen Kliniken missbraucht und misshandelt wurden, zu entschädigen. Mehr als 250 000 Menschen zählen zum Kreis der potenziell Betroffenen. Die Stiftung wurde errichtet von Bund, Ländern und Kirchen – den Trägern der Einrichtungen, in denen es zu den traumatischen Erlebnissen, Arzneimittelversuchen und verhinderten Bildungszugängen kam.
Aber schon die Trennung in Heimkinder der Jugendhilfe und der Behindertenhilfe wird von den Betroffenen selbst immer wieder angeprangert. Denn der 2012 errichtete Fonds Heimerziehung, der ausschließlich Opfer der Jugendhilfe-Einrichtungen entschädigte, hat seine Arbeit Ende vergangenen Jahres eingestellt. Die Antragsfrist lief schon zum Jahresende 2014 aus. Eine öffentliche Anerkennung ihres Leids hat es für diese Betroffenen nie gegeben. In einer Erklärung zwei Tage nach der Berliner Veranstaltung kritisierten Vertreter mehrerer Opfervertretungen daher: „Wir sprechen uns dagegen aus, dass Sie Opfer gegenüber Opfern diskriminieren!“ Zumal die Zuweisung zu Einrichtungen der Jugend- oder der Behindertenhilfe oft willkürlich erfolgte und bei vielen Betroffene auch mehrfach wechselte.
Düsseldorfer Termin zum Auftakt des Kirchentags
Jetzt steht unter dem Titel „Zuhören – Anerkennen – Nicht vergessen!“ eine ähnliche Veranstaltung der Stiftung und des NRW-Sozialministeriums von Karl-Josef Laumann (CDU) im Düsseldorfer Landtag bevor und im Vorfeld läuft es wieder nicht reibungslos. Schon die Terminwahl ist unglücklich. Der 19. Juni ist der Auftakttag des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Dortmund, alle Repräsentanten der nordrhein-westfälischen Landeskirchen stehen damit nicht zur Verfügung.
Ursprünglich war daher vorgesehen gewesen, die Leiter des Evangelischen und des Katholischen Büros in NRW reden zu lassen, den offiziellen Kontaktstellen der beiden Kirchen zur Landespolitik. Aber das stieß bei den Betroffenen auf Befremden. Schließlich geht es auch um die symbolische Wirkung. Und viele Einrichtungen, in denen sich das Leid der Heimkinder in den Jahrzehnten nach dem Kriegsende abspielte, befanden sich in kirchlicher Trägerschaft. „Dass nun (nur) Vertreter/Leiter beider Kirchenbüros in den Landtag Düsseldorf entsendet werden sollen, empfinden wir angesichts des Leids, was vielen auch in kirchlichen Einrichtungen nach 1945 angetan wurde, als unwürdig und nicht angemessen“, heißt es in einem Schreiben von Uwe Werner, dem Vereinsvorsitzenden der „1. Community – Ehemalige Heimkinder NRW“, an die Verantwortlichen, das dieser Zeitung vorliegt.
Inzwischen ist klar: Außer der Begrüßung des Landtagspräsidenten André Kuper (CDU) wird es gar keine Reden geben. Stattdessen sollen Betroffene in einer moderierten Gesprächsrunde zu Wort kommen, an der auch der Paderborner Caritasdirektor Josef Lüttig und Thomas Oelkers, juristischer Vorstand des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe, teilnehmen werden. „Wir sehen die hohe Bedeutung der Veranstaltung und die Kirchenleitungen bedauern sehr, aufgrund des Kirchentages nicht anwesend sein zu können“, sagt Thomas Weckelmann, Leiter des Evangelischen Büros NRW. Aber mit Thomas Oelkers stehe jetzt ein hochrangiger Diakonie-Vertreter zur Verfügung. Ähnlich argumentiert die katholische Seite: Josef Lüttig sei in der Frage hoch kompetent und schon auf Bundesebene bei den Gesprächen und Verhandlungen zur Stiftungsgründung beteiligt gewesen, so der katholische Büroleiter Antonius Hamers.
Ob damit aber den Bedürfnissen der Betroffenen entsprochen wird, ist fraglich. In der gemeinsamen Erklärung der Opfervertretungen heißt es: „Wir brauchen keine weiteren fadenscheinigen Veranstaltungen mehr, die folgenlos bleiben. Veranstaltungen, auf denen das Verhalten von Politikern und Vertretern der Kirchen nicht zu ihren ,Entschuldigungen’ passen. Brauchen keine Worthülsen, keine Aufarbeitungen, in Auftrag gegeben von Täterorganisationen, keine Bitten um Vergebung, die nur denen helfen, die sich an uns millionenfach schuldig gemacht haben.“
In den Missstimmungen während der Vorbereitungsphase spiegeln sich bei den ehemaligen Heimkindern auch Verletzungen wider, die weit über die Veranstaltungen hinausreichen. Es geht um die für viele Betroffene zu komplizierten Antragsverfahren und die oft als zu niedrig empfundenen ausgezahlten Einmalsummen. Für Verärgerung sorgt auch, dass Entschädigungsgelder, die nicht abgerufen werden, wieder an die Einzahler zurückfließen, während Selbsthilfegruppen finanziell nur mühsam über die Runden kommen.
Schreiben des Paritätischen an den Landtagspräsidenten
Ein schwieriges Umfeld, um das erlittene Leid in angemessener Form öffentlich anzuerkennen. Schon im vergangenen Sommer drängte der Paritätische Wohlfahrtsverband in einem Schreiben an Landtagspräsident Kuper darauf, „dass dabei alle Betroffenen angesprochen werden, unabhängig davon, wo sie untergebracht waren. Die Trennung der Gruppe der ehemaligen Heimkinder aufgrund der verschiedenen sogenannten ,Entschädigungsfonds’ entspricht nicht deren Erleben und vielfach auch nicht der Realität.“
In Düsseldorf versucht man jetzt, die Berliner Fehler nicht zu wiederholen. Auf Anfrage erklärte Landtagssprecher Stephan Malessa: „Dem Landtag ist ein würdiges Gedenken aller Betroffenen (auch Betroffenen in Kinderheimen) im Plenarsaal als Zentrum der Demokratie in Nordrhein-Westfalen wichtig. Das schließt bewusst auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen in Einrichtungen der Jugendhilfe mit ein.“