Langenfelder LVR-Klinik „Depressionen haben zugenommen“

Kreis Mettmann · Weihnachten schürt die Angst vor der Pandemie. Keiner will seine Familie anstecken. Die Professorin und Psychologin der LVR-Klinik sagt, wie man sich schützen kann.

„Frauen leider mehr als Männer unter der derzeitigen Situation“, weiß Birgit Janssen von der LVR Klinik in Langenfeld. 

Foto: Matzerath, Ralph (rm)/Matzerath, Ralph (rm-)

Nach den Kontaktbeschränkungen zu Weihnachten und Silvester im vergangenen Jahr hatten die Menschen nun auf ein unbeschwertes Fest gehofft. Doch nun rollt die vierte Corona-Welle. Und mit ihr steht erneut die Angst vor dem Krankwerden ganz oben auf der vorweihnachtlichen Stress-Skala, wie die KKH in einer Umfrage ermittelte. Wir sprachen mit Prof. Dr. Birgit Janssen, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in der LVR-Klinik Langenfeld.

Spüren Sie an der Patientenzahl eine Reaktion auf die andauernde Pandemie und wachsende Ängste?

Birgit Janssen: Wir spüren tatsächlich eine wachsende Nachfrage in unseren Ambulanzen. Auch niedergelassene Psychiater sprechen von immer mehr Behandlungsterminen. Unsere stationären Plätze sind immer belegt, mit und ohne Corona. Die Zahl schwer Depressiver ist seit 2019 ziemlich konstant.

Was steht auf der Stress-Skala derzeit ganz oben?

Janssen: Laut einer kleinen Umfrage, die wir in unseren Kliniken selbst gemacht haben, ist es wirklich die Angst, sich selbst oder Angehörige bei einer Familienfeier anzustecken. Allerdings ist die soziale Isolation zu Weihnachten auch ein großer Belastungsfaktor. Die Aussicht, Weihnachten allein feiern zu müssen, ist für die meisten Menschen eine Zumutung. Weihnachten ist das Familienfest schlechthin für alle Generationen, viel mehr als Ostern beispielsweise. Die Sorge, die Großeltern nicht zu sehen, ist fast genau so groß, wie die Sorge, sich anzustecken.

Und Sie als Fachärztin für Psychiatrie haben mit den Folgen dieses Zwiespaltes zu kämpfen?

Janssen: Es ist wirklich so, dass weltweit die Depressionen in den letzten zehn Jahren zugenommen haben. Das zeigt eine Lancet-Studie zur Qualität von Gesundheitssystemen. Weltweit sind die Depressionen in den letzten zehn Jahren um 27 Prozent gestiegen, in Deutschland um zehn Prozent. Natürlich liegt das auch daran, dass man Depressionen heute eher und besser erkennt. Sie werden heute schon vom Hausarzt diagnostiziert. Besonders zugenommen hat die Zahl der Depressiven aber in Südamerika und Südafrika, wo es ganz strikte Lockdowns gibt, ohne Familientreffen, ohne Alkohol und Nikotin.

Gibt es Persönlichkeitsstrukturen, die unter der unsicheren Situation besonders leiden?

Janssen: Erst einmal gehören psychisch Kranke zur besonders verletzlichen Gruppe. Aber auch ängstliche Persönlichkeiten. Sie leiden besonders unter der unbeeinflussbaren Bedrohung. Ältere werden übrigens besser mit der Pandemie und ihren Auswirkungen fertig als Jüngere. Kinder und Jugendliche kennen keine Krisen, während über 60-Jährige schon viel erlebt haben. Sie reagieren in der Regel gelassener. Übrigens leiden Frauen mehr als Männer unter der derzeitigen Situation.

Gibt es allgemein gültige Anzeichen, bei denen man ein Arzt oder Psychologen aufsuchen sollte?

Janssen: Die gibt es. Wenn man beispielsweise so viel über Corona nachgrübelt, dass man sich auf nichts anderes mehr konzentrieren kann. Oder wenn der Alltag beeinträchtigt ist, man nicht mehr das Haus verlässt, nicht einkaufen geht, die Kinder nicht mehr zur Schule bringt. Wenn man keinen Antrieb mehr hat, nur noch im Bett bleibt und glaubt, das Leben wird nie mehr schön. Alles ist ausweglos. Oder aber tagein tagaus von Schuldgefühlen geplagt wird, man könne jemanden angesteckt haben. Schwere Schlafstörungen sind auch ein Anzeichen.

Gibt es Strategien sich selbst zu erden, wenn die Angst zu groß wird?

Janssen: Man sollte auf jeden Fall Kontakte halten – zumindest per Telefon oder per Chat. Und dann sollte man über anderes sprechen als über Corona. Man sollte den Medienkonsum so gestalten, dass man nicht den ganzen Tag mit Pandemie-Meldungen torpediert wird. Zehn Minuten Handy und Tagesschau gucken sowie die Zeitung lesen, reichen. Bewegung und Waldspaziergänge sind ganz wichtig und helfen. Und niemals die Tagesstruktur aufheben und nur noch in der Jogginghose auf dem Sofa auf das Virus warten.