Lyrikmarathon im Düsseldorfer Nordpark Mit Gedichten auf Heimatsuche
Düsseldorf · Beim Lyrikmarathon von Heinrich-Heine-Institut und Jüdischer Gemeinde trugen auch Bewohner des Nelly-Sachs-Hauses Beiträge vor.
An diesem Nachmittag war es im Düsseldorfer Nordpark wie an vielen Orten auf der Welt: Die älteren Menschen tranken einfach zu wenig. Trotz freundlicher Helfer, die Mineralwasser bereithielten, trotz der Warnung von Bert Römgens, dass die Hitze in den folgenden Stunden noch größer würde, gefolgt von drohendem Unwetter. Der Leiter der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf begrüßte alle Gäste des vierten Lyrikmarathons „Wort an Wort“, besonders aber die Bewohner des Nelly-Sachs-Hauses, von denen einige geradezu trotzig die Getränke ablehnten. Um dann mit größter Aufmerksamkeit den vorgetragenen Gedichten zu folgen.
Nur wenige Schritte vom Jüdischen Senioren-Wohnheim entfernt steht seit dem vergangenen Jahr eine Büste der Dichterin Rose Ausländer, geboren 1901 in Czernowitz und als Bewohnerin des Nelly-Sachs-Hauses 1988 dort gestorben. Die Büste ist eine Schenkung der Rose-Ausländer-Gesellschaft an die Stadt und ein Abguss jener Büste, die bereits 2018 in der ukrainischen Heimatstadt der Dichterin aufgestellt wurde. Für die von der Jüdischen Gemeinde und dem Heinrich-Heine-Institut veranstaltete Lesung hatte man bewusst einen halbwegs schattigen Platz am hiesigen Standort der Büste gewählt. Der Zuspruch an diesem sehr heißen Sommertag war erstaunlich groß.
Besonders freute sich Bert Römgens, dass einige jüdische Seniorinnen und Senioren bereit waren, selbst Gedichte zu rezitieren. Deren lyrischer Favorit war Heinrich Heine. Die aus Tallinn stammende und in St. Petersburg aufgewachsene Rimma Rajces präsentierte „Im wunderschönen Monat Mai“. Yuriy Biuns, geboren in Kiew, begeisterte sich und das Publikum für das Loreley-Gedicht. Und Oleksii Shynov brachte Heines Grabinschrift auf dem Pariser Montmartre-Friedhof souverän auswendig zu Gehör, auf Russisch und auf Deutsch: „Wo wird einst des Wandermüden letzte Ruhestätte seyn? Unter Palmen in dem Süden? Unter Linden an dem Rhein?“ Im weiteren Verlauf des Marathons traten dann auch interessierte Düsseldorfer Bürgerinnen und Bürger ans Mikrofon.
Insgesamt erwies man vielen jüdischen Autoren die Ehre: Else Lasker-Schüler, Hannah Arendt, Mascha Kaléko, ebenso wie Hilde Domin und Nelly Sachs. Wie groß die mögliche Auswahl war, beweist ein vor zehn Jahren publiziertes Buch des Düsseldorfer Historikers Herbert Schmidt: Die Anthologie „Ist es Freude, ist es Schmerz. Jüdische Wurzeln – deutsche Gedichte“ umfasst 1300 Seiten. Mit fünf Gedichten erinnerte man indes an Rose Ausländer, die 18 Jahre lang in Düsseldorf lebte und den Nordpark besonders liebte. Seit ihrer Jugend hatte sie Gedichte geschrieben, in denen sie auch das Grauen und Leid der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und die Zeit ihrer Emigration zu verarbeiten suchte.