Kindeswohlgefährdung in Mönchengladbach Jugendamt hilft 117 Kindern in „akuter Gefahr“

Mönchengladbach. · Die Mitarbeiter prüften im vergangenen Jahr 890 Fälle möglicher Kindeswohlgefährdung.

 In Mönchengladbach muss das Jugendamt oft eingreifen, weil Sorge um das Wohl von Kindern besteht.

In Mönchengladbach muss das Jugendamt oft eingreifen, weil Sorge um das Wohl von Kindern besteht.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Immer wenn im Land ein schlimmer Fall von Kindesmisshandlung oder -missbrauch bekannt wird, spüren das auch die Jugendamtsmitarbeiter in Mönchengladbach. Die Menschen sind dann noch aufmerksamer und melden mehr Fälle möglicher Kindeswohlgefährdung. Im vergangenen Jahr geschah dies mehrere 100 Mal. Bei 890 Kindern bestand der Verdacht, dass sie misshandelt oder vernachlässigt werden könnten. Allen Fällen wurde nachgegangen. Tatsächlich waren 117 Kinder akut gefährdet, 178 Mädchen und Jungen in latenter Gefahr. 329 Kinder waren zwar nicht gefährdet, aber die Familien hatten Hilfebedarf. Beim Rest handelte es sich um „blinden Alarm“. Das geht aus der Statistik von IT NRW hervor.

Im Vergleich zu anderen Städten liegt Mönchengladbach auf einem ziemlich hohen Niveau, was die Zahl der akut gefährdeten Kinder angeht. In Düsseldorf, wo mehr als doppelt so viele Menschen leben, waren es laut IT NRW im vergangenen Jahr 62 Kinder, in Krefeld 86 Mädchen und Jungen, bei denen die Jugendämter sofort einschreiten mussten.

Weil die Zahl der Verfahren zur Einschätzung von Kindeswohl in Mönchengladbach seit Jahren so hoch sind, hat die Stadt den Fachdienst Kinderschutz personell verstärkt. Sechs statt bisher zwei Mitarbeiter nehmen seit 1. April alle Mitteilungen über mögliche Gefährdungen entgegen. In der Statistik von IT NRW sind die Meldezahlen innerhalb eines Jahres von 2017 auf 2018 zwar um das Dreifache gestiegen. Aber das liege alleine an der neuen Erfassungsmethode. „Bis 2017 war jede Meldung ein Fall, jetzt werden alle Kinder gezählt. Und in manchen Familien gibt es ja mehrere davon“, sagt Bernd Sperling, Abteilungsleiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes. Das Land wünsche diese Art der Erfassung. Und daran halte man sich nun. In Wirklichkeit seien die Zahlen gleich geblieben.

Suchtverhalten und psychische Erkrankungen sind laut Sperling, häufige Ursachen für die Vernachlässigung von Kindern in der Familie. Für die Mitarbeiter des Jugendamtes sind Gefährdungsabschätzungen immer ein schwieriges Unterfangen. „Es gibt viele Fälle, wo wir ein komisches Bauchgefühl haben. Aber für eine Inobhutnahme gibt es nicht genügend Gründe“, sagt Jugendamtsleiter Klaus Röttges. Und Jugenddezernentin Dörte Schall fügt an: „Die Familiengerichte, die letztendlich entscheiden, verlangen schließlich Beweise.“ Deshalb werden in Mönchengladbach Gefährdungsabschätzungen immer innerhalb eines kollegialen Beratungsgesprächs diskutiert. „Ob ein Kind aus der Familie herausgenommen werden muss oder nicht, entscheidet nie ein Mitarbeiter alleine“, sagt Röttges. Für die verantwortungsvolle Entscheidung nehmen die Jugendamtsmitarbeiter auch andere Rollen ein – zum Beispiel die eines Familienrichters oder die eines Jugendlichen, der sagt: „Ich möchte aber zu Hause bleiben.“

Ein Kind oder einen Jugendlicher aus einer Familie herauszunehmen, sei ein extrem schwierig zu fällendes Urteil. „Wenn ein Kind grün und blau geschlagen ist, ist die Lage schnell klar. Aber seelische Vernachlässigung sieht man nicht unbedingt“, sagt Röttgen.

Der normale Menschenverstand reicht auch nicht immer. „Mittelschichtsnormen darf man in vielen Fällen nicht anlegen“, sagt Sperling, und Dörte Schall fügt an: „Es ist das Lebensrisiko eines jeden Kindes, in welche Familie es hineingeboren wird.“

Nicht jede Kindeswohlgefährdung bedeute gleich eine Inobhutnahme durch das Jugendamt. „Manchmal machen wir auch Auflagen“, sagt Röttgen. Oft werde die Situation in der Familie wöchentlich immer wieder neu bewertet.

Mit verschiedenen frühen Hilfen und Programmen setzt man im Mönchengladbacher Jugendamt auf Prävention. „Jede Kindeswohlgefährdung hat eine Geschichte“, sagt Röttgen. Meistens gehe eine Überforderungssituation voraus. „Früher gab es enge soziale Systeme mit Oma und Tanten. Die passten auf Kinder auf, wenn die junge Mutter mal Zeit für sich brauchte oder ausgehen wollte“, sagt Sperling. Diese Netzwerke gebe es heute oft nicht mehr. 430 Kinder und Jugendliche sind zurzeit in Dauerpflege, darunter auch Verwandtschaftspflege, untergebracht. Und so werden in der Stadt weiterhin Bereitschafts- und Pflegefamilien gesucht.