„Die sackt uns permanent weg“ Haben Emilys Lehrerinnen ihre Sorgfaltspflicht verletzt?

Mönchengladbach · Das Mädchen starb 2109 bei einer Studienfahrt in London. Jetzt hat der Prozess gegen zwei Frauen begonnen. Ihnen wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Was die Angeklagten und weitere Zeugen beim ersten Verhandlungstag sagten.

Die beiden Angeklagten – hier mit ihren Verteidigern – verdeckten ihre Gesichter vor Prozessbeginn mit Kapuzen und FFP2-Masken.

Foto: Eva-Maria Geef

Emily war 13 Jahre alt, als sie im 2019 zu einer mehrtägigen Studienfahrt nach London aufbricht. Am Vorabend übergibt der Vater ihr Taschengeld und zeigt ihr, wie die Queen winkt. Vier Tage später erhalten die getrennt lebenden Eltern die Nachricht, dass ihre an Diabetes vorerkrankte Tochter in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Sie sei zu dem Zeitpunkt tausendfach über dem normalen Wert gewesen, habe im Krankenwagen reanimiert werden müssen. Einen Tag später stirbt die Schülerin, mutmaßlich an den Folgen des Insulinmangels. Während der Klassenfahrt soll Emily ihre Blutzuckermessungen sowie die Insulingaben vernachlässigt haben. Deshalb habe sich ihr Gesundheitszustand stetig verschlechtert. Sie habe unter Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen gelitten.

Seit Mittwoch müssen sich zwei Lehrerinnen (34 und 60 Jahre alt) wegen fahrlässiger Tötung vor der Großen Strafkammer des Landgerichts verantworten. Sie sollen im Vorfeld der Studienfahrt keine Informationen über eventuelle Vorerkrankungen eingeholt haben. Laut Anklage hätten sie sonst anders auf die Situation reagieren können und eine frühzeitige Aufnahme in ein Krankenhaus veranlassen müssen. Laut einem Sachverständigen hätte Emilys Tod „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert werden können, wenn sie rechtzeitig medizinisch behandelt worden wäre. Die Lehrerinnen sollen eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen haben: Sie hätten sich weder einen persönlichen Eindruck von Emilys Zustand gemacht, noch die Mutter informiert.

Die Angeklagten wollten
sich vor Gericht nicht äußern

Dies passierte erst am geplanten Abreisetag, an dem die Zimmer geräumt werden sollen. Da es Emily immer noch schlecht ging, wurde die Mutter angerufen, um diese zu bitten, dass das Mädchen auf dem Zimmer bleiben und eventuelle Kosten dafür übernommen werden würden. Erst als eine Lehrerin Emily vermeintlich tief schlafend vorfand, während im Zimmer laute Musik lief, wurde ein Rettungswagen alarmiert.

Vor Gericht wollen die beiden Angeklagten sich zunächst nicht zur Sache äußern. Die Kammer geht daher auf die polizeilichen Aussagen zahlreicher Mitschüler ein, die übereinstimmend berichten, die Lehrer mehrfach über den sich verschlechternden Zustand von Emily informiert zu haben. Demnach habe die 13-Jährige sich nach einem Abendessen die ganze Nacht ständig übergeben, habe am Ende wirr auf Fragen geantwortet. Doch keine der angeklagten Lehrerinnen habe nach ihr gesehen – obwohl sie es Schülern zugesagt haben sollen.

Als die 13-Jährige am Samstagmorgen nicht ansprechbar gewesen sei, hätten ihre Mitschüler die vier Lehrer darüber am Frühstückstisch informiert. Diese sollen erwidert haben, dass sie bei der regulären Zimmerkontrolle nach Emily sehen würden.

Zwei Mal spielt der Vorsitzende Richter am Mittwoch die Sprachnachricht einer Mitschülerin an ihre Mutter ab. Darin berichtet das Mädchen, dass Emily nicht in der Lage sei, zu reden oder alleine aufzustehen, sie sacke „permanent weg“. Die Mitschülerin bemängelt, dass die Lehrer ihrer Pflicht nicht nachkommen, „dass es den Kindern gut geht“.

Mehr als unglücklich wirkt danach die abgelesene Einlassung der 60-jährigen Angeklagten: Sie habe stets Wert auf eine gute Beziehung zu den ihr anvertrauten Schülern gelegt, und diesen bei früheren London-Fahrten positive Erlebnisse beschert. Die 34-Jährige spricht den Eltern ihr Mitgefühl für den Verlust aus. Mehr als auf Mitgefühl hoffen die Eltern und mutmaßlich weitere Prozess-Teilnehmer jedoch auf Antworten zur Frage, was in London passiert ist.

Laut Kammer sei es unstrittig, dass es vor der Fahrt weder persönlich noch schriftlich eine Abfrage von Gesundheitsdaten gegeben habe. Dies sei jedoch laut einem Lehrer, der am Mittwoch aussagt, bei anderen Fahrten „verpflichtend“ gemacht worden.

Für die Verhandlung sind 14 Prozesstage angesetzt, ein Urteil soll am 8. Mai ergehen. Im Falle einer Verurteilung der Angeklagten könnten bis zu fünf Jahre Haft vollstreckt werden. Es sind aber auch Bewährungs- oder Geldstrafen möglich.