Suppentanten kochen für Obdachlose
Seit etwa zweieinhalb Jahren gibt es die Gruppe, die am Platz der Republik aktiv ist.
Kasimir ist schmutzig. Seine langes, graues Haar ist zottelig, vom Gesicht erkennt man hinter dem grauen Bart nicht viel. Außer, dass die 20 Jahre auf der Straße Furchen in das Gesicht getrieben haben, er blickt aus trüben Augen. Er könnte 70 sein, aber vielleicht auch erst Mitte 50. Und als er seinen Einkaufswagen mit seinem ganzen Hab und Gut über das Pflaster hinter dem Hauptbahnhof schiebt, rattern die Räder, klirren Flaschen. Kasimir ist Obdachloser, und er hat Hunger.
Als Iris van Montfort-Eickhoff ihn erblickt, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. „Schön, dich wieder zu sehen“, sagt sie, und es klingt so, als begrüße sie einen alten Freund. Und irgendwie ist er das auch fast geworden. Weil Iris van Montfort-Eickhoff etwas zu Essen hat und vor zweieinhalb Jahren beschlossen hat, es mit Leuten wie Kasimir zu teilen. Die Suppe in Kasimirs Plastikschale dampft, er nimmt sich Wurst, reichlich Senf obendrauf und Brötchen dazu und beginnt zu schlemmen, als müsse er Heißhunger aus dem Leib treiben. Kasimirs trübe Augen leuchten auf. „Es gibt nichts Schöneres als diesen Moment“, sagt van Montfort-Eickhoff. Ein ganz eigenes Gefühl der Dankbarkeit.
Iris van Montfort-Eickhoff ist Suppentante. So nennt sich eine inzwischen stattliche Gruppe von engagierten Gladbachern, die seit zweieinhalb Jahren einmal in der Woche für Obdachlose in der Stadt Suppe kocht und verteilt. Jeden Samstag stehen sie mit Ausnahme der Sommermonate am Platz der Republik und neuerdings auch in Rheydt. Mit einem selbstgebauten Suppenwagen unter blauem Zeltdach geben sie zwischen 30 und 40 Liter Suppe an Wohnungslose aus. Dazu Obst, Süßigkeiten, Kaffee, selbst gebackenen Kuchen. Van Montfort-Eickhoff hatte damals die Idee, und sie hätte nie gedacht, was sich dadurch alles ändern würde. Es war im Frühjahr 2014, als jemand im sozialen Netzwerk Facebook um eine Buchspende für einen Obdachlosen bat, der gerne liest. Er wird kurz darauf überhäuft mit Büchern. Anschließend beschwert sich ein anderer Nutzer darüber, dass einer überhäuft wird und die anderen vergessen. Da veröffentlicht Iris van Montfort-Eickhoff ihre langgehegte Idee: „Was haltet ihr davon, wenn wir mal für sie kochen?“
Schnell finden sich Leute, die mitmachen. Sie besorgen sich die Genehmigungen bei Ordnungsamt und Lebensmittelüberwachung. Die Hygiene-Vorschriften sind streng. „Aber je mehr Steine man mir in den Weg legt, desto energischer werde ich“, sagt sie. Nach 14 Tagen standen sie zum ersten Mal draußen und verteilen Suppe. Eine Mitarbeiterin der Verwaltung gibt ihnen mit auf den Weg: „Toll, dass es euch gibt. Schade, dass es euch geben muss.“
Freitagmorgen, fährt Iris van Montfort-Eickhoff ihre übliche Runde: zu Supermärkten, zum Bäcker, zum Metzger. Sie alle spenden Lebensmittel. „Alles, was ich nicht selbst essen will, biete ich auch niemand anderem an“, sagt Suppentante Kerstin Wegmann, als sie in der Küche von Iris van Montfort-Eickhoff Brokkoli klein rupft. Zusammen mit Ralf Gaudian und Birgitt Totten haben sie die gesammelten Spenden gesichtet, sich für ein Rezept entschieden und kochen los. 180 bis 200 Portionen Suppe müssen es schon sein. Denn die Obdachlosen sind treue Stammgäste.
Anfangs merkten die Suppentanten, dass sie sich das Vertrauen der Obdachlosen erst erarbeiten müssen. Und sie selbst waren auch sehr nervös. Was mögen das für Menschen sein? „Ich war nervös wie bei einem Vorstellungsgespräch“, sagt Helferin Birgit Totten. Ein kalter Wintertag im Januar 2015 bringt dann den Durchbruch. Selbstverständlich kochen sie wieder Suppe, kommen zum Platz der Republik, und die Obdachlosen sind fassungslos: „Sie haben uns gefragt: Ihr kommt auch bei dem Wetter?“, erinnert sich Iris van Montfort-Eickhoff. In der Szene spricht sich herum: Die meinen es ernst. Die Suppentanten lernen, dass sie es vor allem mit höflichen Menschen zu tun haben. „Sie haben mir die Scheu genommen“, sagt Iris van Montfort-Eickhoff.
Kasimir ist derweil fertig mit dem Essen. Er stopft sieben Cent in eine Spardose der Suppentanten. Seine gesamten Ersparnisse gibt er für die Suppe.