Wahlrecht Keine 2,5-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen

Düsseldorf · Nach einem Gutachten verzichtet Ministerin Ina Scharrenbach auf einen neuen Anlauf für eine Sperrklausel in NRW. Das Verfassungsgericht hatte diese gekippt.

Jede Stimme soll bei der Kommunalwahl dasselbe Gewicht haben: Mit diesem Argument hat der Verfassungsgerichtshof NRW vor zwei Jahren die neue Sperrklausel in der Landesverfassung gekippt. Die Gefahr von Funktionsstörungen in den Gemeinderäten und Kreistagen sah er nicht hinreichend begründet.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Es war eine denkwürdige Koalition der Unzufriedenen gewesen. Die Linke, Piratenpartei, NPD, ÖDP/Tierschutzpartei sowie Pro NRW und die Freie Bürger-Initiative/Freie Wähler zogen gegen die im Sommer 2016 vom Landtag in Verfassungsrang gehobene 2,5-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen zu Felde. Und der NRW-Verfassungsgerichtshof gab ihnen im November 2017 recht. Seit Mittwoch ist klar: Die Landesregierung wird keinen neuen Versuch unternehmen, die Sperrklausel doch noch rechtzeitig vor der nächsten Kommunalwahl am 13. September 2020 zu etablieren.

Dabei hatten die Verfassungsrichter noch ein Hintertürchen offen gelassen. Wenn es gelinge, eine durch politische Zersplitterung drohende Funktionsstörung der Gemeinderäte und Kreistage ausreichend zu begründen, sei eine Sperrklausel prinzipiell denkbar. Aber zu ihrem eigenen Bedauern musste NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) am Mittwoch mitteilen, dass der von der Landesregierung beauftragte Gutachter „Funktionsstörungen in der Breite im Sinne des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen“ nicht habe feststellen können.

Gutachter hält Wiedereinführung für „wenig erfolgversprechend“

Das Gutachten kommt daher zu dem Schluss, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt „eine Wiedereinführung einer Sperrklausel wenig erfolgversprechend ist“. Sollten nach der Kommunalwahl 2020 verstärkte Funktionsstörungen auftreten und nachgewiesen werden, könne über eine Wiedereinführung der Klausel neu nachgedacht werden.

Ursprünglich hatte in NRW sogar die von Bundes- und Landtagswahlen bekannte Fünfprozenthürde gegolten. Diese war bereits im Juli 1999 vom Landesverfassungsgericht abgeschafft worden, nachdem es fünf Jahre zuvor den Gesetzgeber aufgefordert hatte, diese Sperrklausel zu überprüfen.

Auch der nächste Versuch, stattdessen eine Ein-Sitz-Sperrklausel einzuführen, wurde 2008 für verfassungswidrig erklärt. Demnach hätte eine Kleinpartei ihren einzigen Sitz erst erhalten, wenn ihre Stimmzahl mindestens der durchschnittlichen Zahl der Wählerstimmen pro zu vergebenem Sitz entsprochen hätte. Tatsächlich reicht aber je nach Berechnungsverfahren oft schon die Hälfte dieser Stimmen.

2016 wollten die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen mit Unterstützung der CDU dann für eine wasserdichte Lösung sorgen, indem sie für die neue 2,5-Prozent-Hürde extra die Verfassung änderten. Die Hoffnung dahinter: Der Verfassungsgerichtshof sei damit außen vor. Doch die Richter entschieden, der Landtag habe verfassungswidriges Verfassungsrecht beschlossen und dadurch die Antragsteller in ihren Rechten verletzt.

Befürworter der Sperrklausel argumentieren seit jeher mit der drohenden Handlungsunfähigkeit der Gremien bei zu großer Zersplitterung. Absurde und wenig zielführende Anträge einzelner Mandatsträger oder Minifraktionen könnten die politischen Abläufe praktisch lahmlegen. Gegner halten dem entgegen, dass es auf kommunaler Ebene keine Regierung und in den Stadträten und Kreistagen auch nicht im eigentlichen Sinne Regierungsfraktionen und Opposition gebe. Regierungsmehrheiten seien daher nicht so entscheidend. Ein Steuerungsmittel bleibt den Kommunen aber weiterhin: Beschließen sie eine Verkleinerung der Räte, erhöht sich damit automatisch die Stimmenzahl, die für einen Sitz notwendig ist.

CDU und SPD wollen das Thema noch nicht zu den Akten legen

Die CDU-Landtagsfraktion möchte das Thema auch nach der Entscheidung der Ministerin noch nicht zu den Akten legen: „In Zeiten, in denen es erheblich schwieriger geworden ist, Bürgerinnen und Bürger für ein ehrenamtliches Engagement in den Kommunalparlamenten zu gewinnen, dürfen Entscheidungsprozesse nicht unverhältnismäßig erschwert werden“, sagte der kommunalpolitische Sprecher Guido Déus. Man werde das Gutachten daher noch „intensiv analysieren“.

Die SPD will die Situation nach der Kommunalwahl im nächsten Jahr neu bewerten. „Warum eine solche Entscheidung im Alleingang ohne Information und Abstimmung mit dem Parlament getroffen werden sollte, bleibt das Geheimnis von Frau Scharrenbach“, kritisierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christian Dahm. Die Ministerin mache es sich zu leicht: „Auf die Tatsache, dass es immer schwieriger wird, Menschen für Mandate in Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreistagen zu gewinnen, gibt sie keine Antwort.“

Die Grünen sehen nach Einschätzung ihres kommunalpolitischen Sprechers Mehrdad Mostofizadeh „derzeit keine sinnvolle Möglichkeit, eine Sperrklausel zu verfolgen“. Man teile aber den Befund des Gutachters, dass die Fragmentierung der Räte zu einer Mehrbelastung führe und das kommunalpolitische Ehrenamt dadurch zunehmend unattraktiv erscheine. „Deshalb wollen wir auch wieder die Arbeit einer Ehrenamtskommission anregen, um die Abläufe in den kommunalen Gremien zu verbessern.“

Allein bei der FDP sieht man sich bestätigt. Zwar sei das kommunalpolitische Engagement unter anderem durch die größere politische Vielfalt in den Räten aufwendiger geworden. „Das allein kann jedoch keine Sperrklausel rechtfertigen“, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer Henning Höne. „Bevor Wahlgrundsätze eingeschränkt werden, sollten mildere Mittel ausgeschöpft werden. Das hat die FDP in der Debatte stets betont.“ Zu den milderen Mitteln, die nicht überall ausgeschöpft seien, zählt Höne die Gemeindeordnung sowie die kommunalen Satzungen und Geschäftsordungen.

Die AfD gab trotz Anfrage keine Stellungnahme ab.

Bestand hat die 2,5-Prozent-Klausel bei den Kommunalwahlen jetzt nur noch für die Wahlen zur Regionalversammlung Ruhr und zu den Bezirksvertretungen in den kreisfreien Städten. An diesen Stellen war sie rechtlich nicht beanstandet worden.