Wechsel-Aktion in Tönisvorst Die Schicht-Tauscherinnen
Tönisvorst · Lilli Ellrich und Laura Bräuning wechselten für einen Tag ihre Arbeitsplätze. Ellrich half bei medeor, Bräuning in der HPZ-Werkstatt.
Lilli Ellrich schiebt den Kommissionierwagen am Hochregal vorbei. Sie lässt ihre Augen über die Artikelnummern neben den Gitterwagen und die Europaletten wandern und stoppt an „02050“. Paracetamol-Tabletten im 1000er-Pack. Sie stellt vier Pakete auf den Wagen, scannt mit einem kleinen Gerät den Artikel ein und macht ein Häkchen auf dem Auftragsschein. Fachlagerist Marc Hitz nickt. Weiter geht’s!
Wir sind mitten im „Schichtwechsel“ bei action medeor. Lilli Ellrich, 38 Jahre alt, hat sich für diesen Donnerstag in den Dienst des Vorster Medikamenten-Hilfswerks gestellt. Die Krefelderin nimmt an dem „Aktionstag für neue Perspektiven“ teil. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) hat ihn für diesen 24. Oktober ins Leben gerufen. Ellrich und zehn weitere Tönisvorster Mitarbeiter des Heilpädagogischen Zentrums (HPZ) Krefeld–Kreis Viersen haben sich auf den „Arbeitsplatzwechsel“ für einen Tag eingelassen.
8.15 Uhr war für Lilli Ellrich Schichtbeginn. „Action medeor hat mich interessiert. Ich will wissen, was dahinter steckt, welche Menschen hier anderen in Notsituationen helfen“, sagt sie. Auch aus professioneller Sicht will sie den Blick in das riesige Medikamentenlager werfen, das ihr beim ersten Besuch in Vorst ein „Wow“ entlockte.
Die junge Frau ist seit vier Jahren im HPZ als Lagerarbeiterin in der manuellen Verpackung in der „Impuls-Werkstatt“ für psychisch kranke Menschen in St. Tönis tätig. Sie kennt die Schritte einer Auftragsabwicklung. „Aber bei uns in der Werkstatt ist es viel beschaulicher. Hier – das ist eine andere Dimension!“
Ellrich hat zwei Berufe erlernt. „Ich bin Arzthelferin und Altenpflegerin.“ Doch dann habe sie plötzlich eine Psychose entwickelt. Heute sei sie nicht mehr akut krank, sei medikamentös gut eingestellt. „Ich habe es gut im Griff.“
Sie wolle Neues lernen, sagt Ellrich, würde gerne einmal den Gabelstapler-Führerschein machen. So wie Marc Hitz ihn in seiner Ausbildung gemacht hat. Er ist seit 2014 bei medeor.
Im Katastrophenfall würde das Packtempo des Vormittags deutlich angezogen. Hitz: „Dann geht es im Laufschritt hier durch.“ Das Erdbeben in Nepal war seine bisher größte Herausforderung. Da wurden binnen kürzester Zeit nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ tonnenweise Medikamente und Hilfsgüter gepackt.
Vom Lager an den Schreibtisch
für Öffentlichkeitsarbeit
Am Vormittag legt Lilli Ellrich in Vorst im Lager lange Wege zurück. Am Nachmittag soll sie sich an den Schreibtisch der Frau setzen, die mit ihr an diesem Tag den Schichtwechsel vollzieht. Laura Bräuning aus dem medeor-Team „Öffentlichkeitsarbeit“ hat zeitgleich Ellrichs Platz in der Impuls-Werkstatt eingenommen.
„Das ist eine super Erfahrung für mich“, sagt auch Tauschpartnerin Laura Bräuning. Sie hat am Vormittag nach einem Rundgang durch alle Abteilungen am Tempelsweg einiges über Druckmethoden erfahren, die sie als jemand, der für Grafik zuständig ist, sehr interessierte.
Imponiert habe ihr das selbstständige Arbeiten der Mitarbeiter, die zugleich stets darauf bauen könnten, dass ein Ansprechpartner da ist. „Herzlich“ habe man sie aufgenommen, sagt Bräuning. Und in die Arbeit eingespannt, so in den Großauftrag eines Discounters, für den Kartons gefaltet und ineinander gebaut werden müssen.
Lilli Ellrich unterschreibt derweil ihren ersten kommissionierten Auftrag: Therapeutische Zusatznahrung, Schmerzmittel und Desinfektionstabletten für Wasser gehen nach Togo. Dort werden diese Hilfsmittel benötigt. Ein gutes Gefühl für Lilli Ellrich.
Sie hat auf neue Erwartungswerte und einen Tapetenwechsel gesetzt und ihn bekommen. Platz für Nervosität vor dem Schichtwechsel war nicht da. „Dazu überwog die Vorfreude. Das Interesse war größer als die Nervosität.“
Wer weiß, was sie nun als nächstes angeht, zurück in ihrer HPZ-Werkstatt. Vielleicht mit Mut zum Gabelstapler-Führerschein. Marc Hitz, ihr Kollege für acht Stunden, hat sie ermutigt. Das wiederholt Laura Bräuning vielleicht auch noch einmal. Beim Nach-Treffen der beiden Schicht-Tauscherinnen. Ihr persönlicher Erfahrungsaustausch ist bereits fest eingeplant.