Pflegermangel Mehr als jede zehnte Schicht in Kliniken unterbesetzt

Düsseldorf · In Krankenhäusern und Altenheimen werden händeringend Pfleger gesucht. Schon jetzt sind Schichten häufig unterbesetzt. Doch in Zeiten, in denen Fachpersonal so gefragt ist wie selten, hegen die Berufsverbände Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen.

Der Fachkräftemangel in der Alten- und Krankenpflege hat sich den Angaben der Pflegeverbände im abgelaufenen Jahr weiter zugespitzt.

Foto: dpa/Oliver Berg

Absagen vom Pflegedienst, weil es an Fachkräften fehlt; geschlossene Krankenhaus-Stationen, weil das Team unterbesetzt ist: Der Fachkräftemangel in der Alten- und Krankenpflege hat sich den Angaben der Pflegeverbände im abgelaufenen Jahr weiter zugespitzt. „Die Situation ist dramatisch. Das kann man nicht beschönigen und sie wird sich angesichts einer steigenden Zahl von Pflegebedürftigen auch noch weiter verschärfen“, sagt etwa Christian Woltering, Landesgeschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW.

So habe eine Umfrage 2019 unter ambulanten Diensten im Land ergeben, dass diese wegen Personalmangels im Schnitt zehn Absagen im Monat erteilen müssen. „Das sind für Familien, die schnell auf Pflege für Vater oder Mutter angewiesen sind, natürlich dramatische Situationen.“ In Krankenhäusern sieht es nicht besser aus: Operationssäle könnten nicht betrieben werden, ganze Stationen würden geschlossen, weil Stellen nicht besetzt werden können, berichtet der Pflegerat NRW. „Ich kenne keine Klinik, die nicht händeringend Fachpersonal sucht“, sagt der Vorsitzende Ludger Risse. Einige versuchen, Personal mit Wechselprämien von bis zu 15 000 Euro zu locken.

Die Not spiegelt sich auch in Zahlen, die das Gesundheitsministerium NRW auf Anfrage mitteilte: Mehr als jede zehnte Schicht auf Stationen mit vorgeschriebenem Personalschlüssel war zuletzt unterbesetzt. Seit 2019 gelten für bestimmte Klinikbereiche Untergrenzen für das Fachpersonal. Die Mindestbesetzung gilt für Bereiche, in denen die Pflege vom Gesetzgeber als besonders maßgeblich bewertet wurde, etwa auf Intensivstationen, in der Geriatrie, der Kardiologie oder Unfallchirurgie. Für Stationen ohne solche Vorgaben gibt es keine Daten. Doch dort sei die Situation oft noch angespannter, klagen die Pflegevertreter: Weil Kliniken Sanktionen zahlen müssen, wenn sie die vorgeschriebenen Fachkräfte nicht vorhalten können, werden diese auf Stationen abgezogen, wo keine Mindestbesetzung vorgeschrieben ist, berichtet der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK).

„Diese Situation hat sich über Jahrzehnte aufgebaut, das fliegt uns jetzt um die Ohren“, sagt Burkhardt Zieger, Geschäftsführer des DBfK NordWest. Die Landesregierung ging bereits für das Jahr 2018 von einem Bedarf von 10 000 Fachkräften in der Alten- und Krankenpflege aus. Ausbildungszahlen in der Altenpflege haben sich zwar im Vergleich zu 2010 verdoppelt, zuletzt wächst die Zahl der Schüler aber nur langsam. In der Kranken- und Kinderkrankenpflege zogen die Zahlen zuletzt ebenfalls nur mäßig an.

Und so gehen die Verbände davon aus, dass die Fachkräftelücke noch wachsen wird: „Wir haben immer weniger Junge, die in den Beruf gehen bei gleichzeitig steigendem Bedarf in einer Gesellschaft mit immer mehr Alten, mehr Kranken und immer kränkeren Alten“, sagt Zieger.

Für die Pflegekräfte könnte die Situation durchaus Vorteile haben: „Gut ausgebildete Pflegekräfte sind auf dem Arbeitsmarkt zur nachgefragten Ressource geworden“, so Zieger. Darin sehen die Berufsverbände auch einen Hebel: „Angesichts dieser Situation lassen sich zu viele Pflegende immer noch herumschubsen, ohne zu erkennen, dass sie nur mit dem Finger schnippen müssten, um einen anderen Arbeitgeber mit vielleicht besseren Arbeitsbedingungen zu haben“, berichtet Zieger.

Die Altenpflege und dort vor allem der ambulante Bereich habe es auf dem umkämpften Bewerbermarkt besonders schwer. „Der Markt ist abgegrast. Arbeitnehmer können sich ihren Arbeitgeber aussuchen und nehmen das beste Gesamtpaket“, sagt Woltering vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Da sei eine Bezahlung auf Tarifniveau zwar ein wichtiges Lockmittel, aber auch die anderen Bedingungen müssten stimmen, etwa Urlaubsregelungen oder Personalschlüssel.

Risse vom Pflegerat ist zudem überzeugt, dass sich die Branche besser um den Nachwuchs kümmern sollte: „Wir müssen schon bei Schulabgängern für unseren Beruf werben. Auszubildende dürfen dann nicht länger einfach nur Dienstplanlücken füllen“, sagt er. Neue Ausbildungspläne, die 2020 in Kraft treten, würden dem bereits Rechnung tragen: Die Ausbildung werde praxisorientierter und professioneller.

Politik und Gesellschaft müssten sich aber auch eingestehen, dass die Personaldecke endlich sei, sagt Zieger vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe: „Wir müssen auch vorhandene Überkapazitäten bei den Krankenhäusern mit Augenmaß abbauen“, mahnt er. Das setze Personalressourcen frei und eröffne Möglichkeiten, neue Versorgungsmodelle zu entwickeln, in denen Pflegende zusammen mit anderen Berufsgruppen auf Augenhöhe arbeiteten.

(dpa)