Open-Air Placebos grandioses Konzert in Monheim trotzt den Handy-Spionen

Monheim · Brian Molko und seine Band überzeugten auf der ausverkauften Bürgerwiese Baumberg vor 5000 Fans. Diese sollten den Abend auf Wunsch der Künstler ohne Handy genießen. Ein Experiment mit Schwächen bei einem ansonsten mitreißenden Konzert.

 Brian Molko will auf der Bühne Gefühle transportieren - und scheppern darf es dabei auch.

Brian Molko will auf der Bühne Gefühle transportieren - und scheppern darf es dabei auch.

Foto: IMAGO/Future Image/IMAGO/Clemens Niehaus

Die britischen Alternative-Rocker von Placebo jagen den einzigartigen Momenten hinterher. So auch bei ihrem ausverkauften Open-Air-Konzert auf der Bürgerwiese Baumberg in Monheim am Rhein. Die besondere Magie eines Placebo-Konzerts versprüht bereits der Opener "Taste in Men". Sänger und Gitarrist Brian Molko sowie sein Bandpartner Stefan Olsdal - begleitet von Tour-Musikern an Gitarre, Bass, Schlagzeug und Keyboard - hüllen die rund 5000 Menschen in einen warmen Soundteppich ein. "Taste in Men" ist ein Klassiker, der erstrangig durch Atmosphäre und Groove überzeugt. Vor allem setzt der Song den Ton für den Abend: Placebo kann düster sein, der Gesang zieht an den Herzmuskeln und die Akkord-Folgen der Songs müssen sich nicht unbedingt befriedigend auflösen.

Die Fans sind elektrisiert. Der 51-jährige Molko scheint zufrieden. Da war wieder so ein Moment: die Verbindung zwischen Künstler und Publikum in der Musik. Placebo kämpft mit harten Bandagen dafür, ihre Konzerte so unmittelbar wie möglich zu gestalten. Der größte Feind dieses Unterfangens: das Smartphone. Daher beginnt das Konzert mit einer ausführliche Ansage ans Publikum, dass das Abfilmen des Konzerts nicht gerne gesehen ist. Das mache es Placebo nämlich extrem schwer, die Emotionen der Songs zu kommunizieren, zudem könnten die leuchtenden Displays diejenigen stören, die einfach nur das Konzert genießen wollen.

Für dieses Statement und das noble Vorhaben, im Prinzip so etwas wie ein 90er-Jahre-Konzerterlebnis zu beschwören, gibt es vereinzelten Applaus. Doch das ganze Konzert über offenbart sich, wie schwer es doch ist, den Geist wieder zurück in die Flasche zu stopfen. Die Security muss im Minutentakt Menschen mit der Taschenlampe anleuchten und verwarnen. Mindestens eine Konzertgängerin fliegt raus, weil sie immer wieder mitfilmt. Am Ende wird zur bitteren Erkenntnis: Auch das ständige Eingreifen der Sicherheitsleute reißt - zumindest in den vorderen Reihen - immer wieder aus dem Konzerterlebnis raus.

Wer an diesem Nebenkriegsschauplatz vorbei schaut, sieht auf der Bühne ein atemberaubendes Konzert. Der in schwarz gekleidete Brian Molko, zurzeit mit langen Haaren und Oberlippenbart, spricht durch hoch emotional aufgeladene Stücke wie „Song to Say Goodbye“ oder „Happy Birthday in the Sky“ mit dem Publikum. So wird die Performance ein Stück theatralisch. Passend zu den Texten über Liebe, Drogen, Verlust und Verrat reißt Molko die Augen weit auf, grinst teuflisch, zeigt der Welt den Mittelfinger oder deutet mit der Hand einen Schnitt durch die Kehle an. Dafür gibt es nahezu keine Ansagen ans Publikum. Hier steht eben keine Band, die zwischen ihren teils epischen Stücken noch schnell eine lustige Anekdote über die chaotische Anreise in gebrochenem Deutsch einstreut. Die große Bühne gehört den verzerrten Gitarren, den träumerischen Keyboardklängen und dem gnadenlos dröhnenden Bass.

Nach „Taste in Men“ stellt Placebo zunächst einmal unter Beweis, dass sie keine dieser Bands sind, die sich zwanghaft an ihren alten Hits entlanghangeln muss, um die Stimmung am Brodeln zu halten. Zunächst steigen die Londoner mit einer Handvoll Songs vom neusten Album „Never let me go“ (2022) ein. Das würde nicht bei allen Gruppen, die stramm auf eine 30-jährige Bandgeschichte zumarschieren, so funktionieren. Aber in diesem Fall tragen Songs wie „Beautiful James“ und "Surrounded by Spies" den Konzert-Auftakt. Trotzdem werden die eingestreuten Hits wie die 90er-Jahre-Hymne „Every you, Every me“ oder der Kracher "For What it's Worth" von spontanem Jubel begleitet.

Übrigens: Bei „Surrounded by Spies“ (umgeben von Spionen) zeigt Molko gezielt ins Publikum. Womöglich hatte er doch noch ein paar filmende Handys gesichtet. Der Song „Went Missing“ mündet in einer Endlosschleife der Textzeile "Secret destroyers keep away". Und wieder schaut Molko so ominös in die Menge. Umgemünzt auf die Situation könnte man interpretieren: „Hört auf, hier unsere Geheimnisse zu zerstören.“

Die Geheimnisse des Abends: ein Auf und Ab der Gefühle, eine hypnotisierende Leinwand-Show und eine Band, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Das spricht in Monheim eine breite Masse an. Ein größerer Teil der alten Fans sind ergraut, manche kämpfen mit schrillen Farben dagegen an, und gleichzeitig es gibt eben auch die jüngere Placebo-Generation. Besonders auffällig ist ein Junge, höchstens im Grundschulalter, der mit einem riesigen Hörschutz auf den Schultern des Vaters womöglich sein ersten Open-Air-Konzert genießen durfte.

Bei der Qualität auf der Bühne wiegt es auch nicht so schwer, dass das Publikum die letzten Songs - inklusive dem grandiosen Kate-Bush-Cover „Running up That Hill“ im Niesel-Regen genießen muss. Gott sei Dank waren die Handys sicher und trocken in den Taschen verstaut. Wobei auf dem Weg von der Bürgerwiese Baumberg zurück zu Parkhaus und Busshuttle der ein oder andere blitzschnell sein Social-Media-Profil hochgefahren hat, um die heimlich gemachten Fotos zur Schau zu stellen. Überall Spione - Brian Molko hatte recht.