Massenaktionen im Rheinischen Braunkohlerevier Polizei trägt Klima-Aktivisten von Schienen
Grevenbroich. · Mehr als 1000 Demonstranten drangen in den Tagebau Garzweiler ein.
Am Sonntagnachmittag verließen die letzten Demonstranten die Gleise der Nord-Süd-Bahn bei Neurath. Fast 48 Stunden lang hatten etwa 800 Klima-Aktivisten eine der wichtigsten Schlagadern im Revier besetzt und den Nachschub für das größte Kraftwerk Deutschlands gestoppt. Ihr Abzug – die letzten Besetzer wurden von der Polizei von den Schienen getragen – markierte zugleich das Ende einer Massenaktion, an der nach Angaben des Bündnisses „Ende Gelände“ mehr als 6000 Menschen beteiligt waren. Sie blockierten Schienen, drangen in den Tagebau Garzweiler ein, Bagger und Absetzer standen still. RWE kündigte am Sonntag an, „gegen alle Straftaten im Zusammenhang mit den erfolgten Besetzungen und Blockaden konsequent straf- und zivilrechtlich“ vorzugehen. Nach Angaben des Energiekonzerns ist es auch zu mehreren Brandanschlägen auf eine Pumpstation, Schaltschränke und Fahrzeuge gekommen.
Aktivisten durchbrachen
Sperre der Polizei
Auftakt des „heißen Wochenendes“ war in Jüchen-Hochneukirch. Von 2500 Teilnehmern ging Christina Schliesky aus, als sie die Versammlung im Rahmen des Aktionstags „Klima und Dörfer retten“ auf dem Konrad-Adenauer-Platz anmeldete. Dass es mehr als doppelt so viele Menschen werden würden, die dem Aufruf „Kohle stoppen!“ folgten, überraschte nicht nur sie, sondern auch viele Anwohner. Die 15-jährige Schülerin aus Mönchengladbach hat als Mitglied von „Fridays for Future“ schon seit Monaten in ihrer Heimatstadt „Schülerstreiks“ organisiert.
Immer mehr Menschen strömten am Samstagmorgen auf den zentralen Platz. Bunt, fröhlich, friedlich, alle mit dem Ziel: Es muss endlich Schluss sein mit der Braunkohle aus den Tagebauen. „Alle Dörfer bleiben“ und „Hambi bleibt“ sind die Forderungen an Politik und RWE. Die Polizei sperrte die Hochstraße ab, nachdem parkende Autos, Durchgangsverkehr und Reisebusse aus beiden Richtungen sich ins Gehege kamen und eine fast unüberschaubare Menge von Polizeifahrzeugen die Wege blockierte.
Aus ganz Europa waren Menschen an diesem Wochenende in Hochneukirch zusammengekommen. Viele wussten nicht, was sie ganz in der Nähe erwartet. „So gigantisch hätte ich mir die Tagebaue nicht vorgestellt“, meinte etwa eine Teilnehmerin vom Bodensee. „Das ist hier ja noch schlimmer, als es bei uns bekannt ist.“ Für sie, wie für viele andere war der Besuch im Rheinland ein weiterer Meilenstein im Kampf für mehr Klimaschutz und gegen Umweltvernichtung.
„Fridays for Future“ ist längst über das Stadium einer Schülerveranstaltung herausgewachsen. Mindestens die Hälfte der Protestler hat die Schulzeit längst hinter sich. „Teacher for Friday“, „Parents for Friday“, „Scientists for Friday“ reihten sich in den Protestzug der Jugendlichen ein. Und nicht nur sie. Als sich gegen 12.30 Uhr der Demonstrationszug der mehr als 5000 fröhlich-friedlichen Menschen unter starkem Begleitschutz der Polizei in Richtung Tagebau in Bewegung setzte, schlossen sich rund 1300 Aktivisten von „Ende Gelände“ an, durch ihre weißen Maleranzüge unübersehbar. Zum Teil waren sie schon seit dem Vortag in Hochneukirch und hatten am Bahnhof ausharren müssen, weil die Polizei sie nicht weiterließ.
Beim langen Zug durch Hochneukirch und entlang der Tagebaukante kam schnell das Gerücht auf, dass die weißgekleideten Aktivisten nicht bis nach Erkelenz-Keyenberg, dem Ziel des Protestmarschs, mitlaufen würden. Nahe des Aussichtspunktes Nord durchbrachen sie eine Polizeisperre und drangen in den Tagebau ein. In Sichtweite des Baggers 288 – mit 13 500 Tonnen eines der schwersten Landfahrzeuge der Welt – wurden die Demonstranten von der Polizei gestoppt und eingekesselt. Wie eine Sprecherin der Polizei Aachen mitteilte, konnte die Räumung des Tagebaus am Sonntagmorgen beendet werden, die Demonstranten seien herausgetragen worden oder freiwillig gegangen.
Die Besetzung der Grube wurden von vielen Teilnehmern des Protestzuges vom Tagebaurand aus beobachtet, aber auch am Aussichtspunkt hatten sich etliche eingefunden. Dort hatte Christian Forkel, Leiter der Wasserwirtschaft bei RWE, mit seinen Kollegen einen Grill aufgebaut, auf dem Koteletts und Würstchen brutzelten, auch reichlich Kaltgetränke standen bereit – alles wurde kostenlos angeboten. Dass sich auch Klima-Aktivisten bedienten, sei „in Ordnung“, sagte Forkel. Ohnehin hatten sich die Mitarbeiter des Energiekonzerns am Tagebaurand positioniert, um mit Kritikern ins Gespräch zu kommen. „Das war ein guter, von vielen in Anspruch genommener Austausch“, sagte Forkel. „Bekehrt“ worden sei freilich niemand – weder auf der einen noch auf der anderen Seite.
Trotz der „enormen Beeinträchtigungen“ sei der Betrieb der Kraftwerke und die Stromproduktion „zu keinem Zeitpunkt gefährdet“ gewesen, machte RWE am Sonntag deutlich. Dessen ungeachtet, sei dem Unternehmen aber ein wirtschaftlicher Schaden entstanden, der derzeit ermittelt werde. Der Konzern fordert die Umsetzung der seit Januar vorliegenden Empfehlungen der Strukturwandel-Kommission, inklusive des Fahrplans zum Kohleausstieg. Der liege auf dem Tisch, sagte Frank Weigand, Vorstandsvorsitzender der RWE Power – „und es gibt keinen Grund, Menschen zu gefährden und illegale Aktionen durchzuführen“. Das Unternehmen respektiere das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Proteste wie die von „Fridays for Future“. „Aber es ist nicht akzeptabel, unter dem Deckmantel des Klimaschutzes vorsätzlich Rechtsbrüche zu verüben. Das Blockieren von Gleisen und das Eindringen in den Tagebau waren gefährlich und widerrechtlich“, betonte Weigand. Das Bündnis „Ende Gelände“ feierte die Aktion als Erfolg. „Wir haben Klima-Geschichte geschrieben. Noch nie war die Bewegung so vielfältig, noch nie waren wir so entschlossen“, sagte Sprecherin Nike Malhaus.