„Anfangs gab es Verlustängste in den Gemeinden“
Pfarrer Norbert Viertel spricht im Interview über das Klima in der Großpfarrei Hildegundis von Meer.
Es war das Ende der selbstständigen Pfarrgemeinden St. Nikolaus, St. Franziskus und St. Stephanus mit eigenen Pfarrern: Vor fünf Jahren wurde die Großpfarrei Hildegundis von Meer gegründet. Nur noch ein Pfarrer, unterstützt von einem Seelsorgeteam, ist seither für knapp 15 000 Gläubige zuständig.
War die Gründung der Großpfarrei wirklich alternativlos?
Norbert Viertel: Sie war eine Entscheidung des Bischofs, die sich aus dem großen Priestermangel ergibt. Dazu kommt ein beträchtlicher Rückgang in der Zahl der Gläubigen — und ein Rückgang der Identifikation mit der sakramental verfassten Kirche. Wenn man am flächendeckenden Seelsorgeprinzip festhalten will, bleibt nichts anderes übrig, als größere Seelsorgeeinheiten zu schaffen.
Was hat sich substanziell verändert?
Viertel: Die Befürchtungen, die bei einer Strukturveränderung entstehen, sind groß. Verändert hat sich aber gar nicht so viel. Viele Traditionen können dank eines großen ehrenamtlichen Engagements aufrecht erhalten werden. Was sich geändert hat: dass Initiativen und Aktionen aus den Einzelgemeinden immer auch in Absprache mit der Gesamtpfarrei erfolgen müssen. Das waren die Menschen so vorher nicht gewohnt. Sie waren gewohnt, dass sie mit ihrem Pfarrer Ideen entwickelten, und dann konnte man das umsetzen.
Und das ist jetzt nicht mehr möglich?
Viertel: Das ist weiterhin möglich! Aber man muss immer das gesamte Strukturgebilde der Pfarrei im Blick haben. Es ist gut, solche Initiativen zu entwickeln, sofern sie den Interessen der Gesamtpfarrei nicht widersprechen — dafür stehe ich auch weiter.
Welche liebgewordenen Traditionen vor Ort mussten Sie aufgeben?
Viertel: Ein Beispiel der Veränderung ist das Fronleichnamsfest, das nun mit Blick aufs Ganze anders gestaltet wird. Auch früher gab’s nicht in allen sechs Gemeinden eigene Prozessionen, aber in den beiden großen — Lank und Osterath — fanden sie jährlich statt. Jetzt sind sie immer im Wechsel. Die Befürchtungen waren am Anfang groß, es gab Verlustängste. Aber seit wir das praktizieren, zeigt sich, dass einiges zusammenwächst — nicht zuletzt durch die Mitwirkung der Schützenbruderschaften.
Aber das ist ja nicht die einzige Veränderung…
Viertel: Ich will das nicht herunterspielen: Eine wesentliche Änderung besteht darin, dass sich die Gemeinden den Pastor teilen müssen. Es geht ja nicht darum, Menschen etwas wegzunehmen oder liebgewonnene Traditionen abzuschaffen, weil man sie ihnen nicht gönnt. Man muss aber sehen: Wir arbeiten heute als Pastoralteam zusammen. Das zur Verfügung stehende pastorale Personal hat den Umfang, wie’s früher für eine Kirchengemeinde zuständig war. Zwei Pfarrvikare, zwei Gemeindereferentinnen - das ist der Personalschlüssel, wie er früher in etwa für jede der drei großen Gemeinden galt.
Was hat sich für Sie persönlich verändert?
Viertel: Ich bin von meinem Herzen her Seelsorger und kein Gemeindemanager. Mir ist die Nähe zu den Menschen wichtig. Wenn man für einen so großen Seelsorgebereich zuständig ist, geht die Nähe zu den Menschen naturgemäß etwas verloren. Deshalb ist es mir wichtig in Begegnungen, präsent zu sein und zu vermitteln, worum es uns geht: nicht darum, eine kalte Struktur durchzusetzen. Wir wollen einen Rahmen schaffen, in dem auch heute noch die Verkündigung des Evangeliums möglich ist.