Berufsorientierung: Abschied von der Notenmentalität
Das Berufsorientierungs-Projekt „Jugend braucht Zukunft“ hat seine Wurzeln in Meerbusch.
Meerbusch. Für Jana Weiß war es eine Überraschung. Die 15-Jährige ist die 1000. Teilnehmerin des Seminars „Jugend braucht Zukunft“ bei der Volkshochschule Meerbusch. Dabei kam die Realschülerin eigentlich nur zur VHS, um sich über ihre berufliche Zukunft beraten zu lassen. Sie ist eine von vielen Schulabsolventen, die es schwer haben, die richtige Berufswahl zu treffen.
„Oft werden eigene Interessen von den Erwartungen der Eltern unterdrückt. Oder die Teilnehmer haben sich noch nicht genügend mit dem Thema auseinandergesetzt“, erklärt Peter Schulze, Gründer der Initiative „Jugend braucht Zukunft“.
Seit 2007 wird daher das Seminar an der VHS angeboten, bei dem die Teilnehmer in einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst dazu geleitet werden, sich ihre Interessen vor Augen zu führen und dadurch den passenden Beruf zu finden.
Und es funktioniert: Bundesweit hat das Projekt Aufsehen erregt. Bereits 31 Volkshochschulen bieten mittlerweile den gleichen Kurs an. Hinzu kommen 60 Berliner Schulen.
Welche Wellen seine Idee schlagen würde, war Peter Schulze nicht bewusst, als der Firmenchef Anfang der 90er Jahre die Universität Ilmenau beauftragte, zu untersuchen, warum seine Auszubildenden oft absprangen. „Viele kamen nicht einmal zum ersten Arbeitstag. Ich wollte wissen, woran das liegt. Und die Antwort war simpel: Neigung ist wichtiger als Eignung.“
Peter Schulze hat in seinen Bewerbungsgesprächen fortan darauf geachtet, Auszubildende auszuwählen, die hinter ihrem Beruf stehen. Dadurch habe er zuverlässigere und auch bessere Mitarbeiter eingestellt.
Nach seiner Pensionierung wollte er das Prinzip „Neigung steht vor Eignung“ weiterverfolgen. Ingrid Terrana-Kalte, Leiterin der VHS Meerbusch, erinnert sich gut: „Er kam mit diesem Projekt zu uns, und trotz vieler Bedenken hat es sich durchgesetzt. Jetzt bieten wir etwa acht bis neun Kurse im Halbjahr an.“
Bundesweit nehmen pro Jahr rund 5000 Jugendliche teil. „Die jungen Leute lernen hier, zu sich und zu ihren Wünschen zu stehen. Viele schaffen es später, sich gegen ihre Eltern durchzusetzen. Dabei helfen auch unsere Paten, die sich ehrenamtlich engagieren und die Teilnehmer über den Kurs hinaus begleiten“, sagt Thomas Cieslik, Betreuer des Projektes.
Udo Moll, Leiter der Mordkommission in Düsseldorf, und Burkard Maaz, pensionierter Orthopäde, sind seit 2007 als Paten dabei. „Ich betreue das Projekt gerne. Ich halte die leistungsorientierte Auswahl von Bewerbern für falsch. Ich selber habe die gleiche Realschule wie Jana besucht und bin Hauptkommissar geworden“, sagt Moll.
Auch Maaz hält die Auswahl eines Bewerbers für Medizin nach einem Numerus Clausus für falsch. „Ein junger Mensch, der sein Abitur mit der Note 4 gemacht hat, könnte ein besserer Arzt werden als einer, der mit einer 1,0 abschließt. Für diesen Beruf braucht man die richtige soziale Ader.“
Auch Realschullehrer Reiner Prinz unterstützt die VHS so gut er kann: „Viele meiner Schüler haben hier bereits an einem Kurs teilgenommen. Und allen hat es geholfen.“