„Stadt sollte Digitalisierung forcieren“
Marc Becker sitzt für die Piraten im Stadtrat von Meerbusch und kritisiert die Informationspolitik der Stadt. Er bemängelt, dass Themen im Internet „versteckt“ würden.
Herr Becker, Sie fordern in einem neuen Antrag eine Transparenzsatzung in Meerbusch und beklagen, dass Bürger an Informationen nicht herankommen, sprechen in Ihrem Antrag gar von „Herrschaftswissen“, das die Stadt für sich behalte. Gibt es Themen, bei denen Sie das Gefühl haben, dass Dinge vor Ihnen geheim gehalten werden?
Marc Becker: Wenn wir als Ratsleute gezielt nachfragen, bekommen wir die Informationen. Aber selbst für uns ist es manchmal schwer, diese zu finden. Die Recherchemöglichkeiten sind begrenzt. Es ist ein Unterschied, ob der Bürger auf freiwillige Informationen angewiesen ist oder einen rechtsverbindlichen Anspruch hat.
Es gibt das Informations-freiheitsgesetz...
Becker: Das geht nur bis zu einer gewissen Grenze. Klar, wir haben als Rat mehr Möglichkeiten, erhalten auch Dokumente, die noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, wo es zum Beispiel um Firmennamen und Daten geht. Andererseits sind da auch Sachen bei, wo ich mir wünschte, dass sie an die Öffentlichkeit kommen, weil diese ein absolutes Unding sind. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Wir freuen uns über jeden Whistleblower, der Unrecht nach außen trägt. Andererseits sind uns Persönlichkeitsrechte wichtig.
Was sehen Sie derzeit für sich als Themen, bei denen sich die Piraten als Fraktion profilieren können?
Becker: Die sozialen Themen oder den Wohnungsbau. Für uns Piraten ist nach wie vor auch das Thema Bürgernähe sehr wichtig. Uns geht es darum, dass wir neue Denkstrukturen in die Kommunalpolitik hereinbringen wollen. Wie funktioniert heute eine Verwaltung, welche Möglichkeiten haben wir durch die Digitalisierung? Wir sind viel vernetzter als wir das früher waren. Ich merke das auch in unserer Fraktionsarbeit. Wir arbeiten viel mit elektronischen Medien und müssen uns nicht jedes Mal an einem Ort treffen, um Gedanken auszutauschen. Ich denke, da muss es hingehen, wenn es um die Verwaltung und den Bürger geht. Wir haben gerade eine Untersuchung: Wie teuer ist eine Verwaltung, wodurch entstehen die hohen Kosten? Wenn ich mir überlege, dass fast alle Behördengänge elektronisch machbar wären, dann müssen wir da auch hinkommen, diese Mittel und Wege nutzen.
Das heißt, Sie können sich vorstellen, Bürgerbüros zu schließen und mehr online zu machen?
Becker: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Meerbusch ist sehr zerklüftet. Aber man kann zumindest einige Bereiche ausdünnen. Denkbar wäre ein mobiles Bürgerbüro, das zu festen Zeiten in den Stadtteilen ist. Die Arbeit, die man den Leuten abnehmen kann, dass man sich nicht für jeden Antrag in ein Büro bewegen muss, da ist doch auch dem Bürger mit gedient, wenn er zukünftig vieles von zu Hause erledigen kann. Zumal die Öffnungszeiten immer dann sind, wenn die meisten arbeiten müssen. Es werden Sachen online veröffentlicht, aber das meiste ist nicht auffindbar, oder nur sehr schwer zu finden, indem man in Beratungsunterlagen des Rates suchen muss. Da sehe ich erheblichen Nachholbedarf, da muss Meerbusch wie viele andere Kommunen noch transparenter werden.
Ist das für Sie die kritisierte Intransparenz? Die Informationen liegen doch öffentlich vor. Es gibt das Rats-Portal, auf das jeder Zugriff hat.
Becker: Bevor damals die Piraten in den Umfragen gehypt wurden, kannte man das Wort Transparenz nur im Zusammenhang mit Frischhaltefolie. Mittlerweile gibt es kein Politikerinterview mehr, in dem nicht das Wort Transparenz auftaucht. Transparenz heißt für mich erst einmal Nachvollziehbarkeit. Aber es muss auch eine Informationspolitik betrieben werden, die auf den Bürger zugeschnitten ist. Ich kann nicht hingehen und sagen: „Die Unterlagen liegen im Internet, guckt doch nach.“ Ironisch gesagt: Wenn man etwas verstecken will, dann packt man es ins Internet.
Die Stadt hat doch nicht nur eine Bringpflicht, der mündige Bürger hat doch auch eine Holpflicht.
Becker: Das sehe ich anders, und genau das merken wir gerade auch. Wenn wir Politik nahe am Bürger machen wollen, dann müssen wir die Holpflicht vergessen und die Mittel und Möglichkeiten, die wir dem Bürger geben können, nutzen. Die Stadt Meerbusch hat es im Falle der Flüchtlingsbauten versucht, die Bürger über das Internet zu informieren. Das ist in den vergangenen Wochen etwas aufgearbeitet worden. Aber letztlich ist es für Bürger immer noch zu schwer.
Finden Sie also den Vorwurf der Lanker Initiative Kierster Straße für die Reduzierung der Flüchtlingsheimbauten gerechtfertigt, dass sie nicht genug mitgenommen wurde?
Becker: Die Stadt hat einiges getan, transparent gehandelt und meiner Meinung nach eine gute Kommunikation betrieben. Viele Vorwürfe, die da laut geworden sind, halte ich nicht für gerechtfertigt. Die Leute sind in Zeiten von Facebook allerdings anfällig für falsche Behauptungen, für Irreführungen. Wenn die Stadt von Anfang an alle Informationen leichter zugänglich gemacht hätte, hätten wir informiertere Bürger. Jeder Bürger hat zudem am Beginn einer Sitzung die Möglichkeit, in der Einwohnerfragestunde sein Anliegen zu äußern. In einigen Ausschüssen wird das sehr wohl gemacht, wie im Ausschuss für Bauen und Umwelt oder Planung und Liegenschaften. Schade aber finde ich zum Beispiel, dass im Sozialausschuss keiner der Bürger war, die in Sorge vor Flüchtlingsheimen sind. Sie hätten sich dort informieren können und hätten erfahren, dass wir sehr gute Konzepte haben.
Die da wären?
Becker: Wir haben in Meerbusch 800 Ehrenamtler, die sich um Flüchtlinge kümmern. Das ist fast eine Eins-zu-Eins-Betreuung. Das wird in der öffentlichen Diskussion außen vor gelassen. Wenn man das mehr transportieren würde, kann man den Leuten auch ihre diffusen Ängste nehmen. Vor kurzem habe ich zwei Frauen in Büderich auf der Dorfstraße getroffen, die darüber sprachen, dass sie kaum noch im Ort einkaufen, weil in Büderich eine Frau von einem Flüchtling vergewaltigt worden sein soll. Das war ein Gerücht. Die Polizei kennt keinen solchen Fall. So etwas meine ich, wenn ich von diffusen Ängsten spreche. Das schaffen wir nur, wenn wir Themen nach draußen bringen und zeigen: Wir betreiben hier die größtmögliche Kommunikation. Der Bürger entfernt sich sonst immer weiter von der Politik.
Stichwort Piraten und Linke: Wie schwierig ist diese Kombination? Wie kann man dem Bürger transparent machen, was in Ihrer Fraktionsarbeit Piraten- und was Linken-Politik ist?
Becker: Es ist schwer, das nach außen zu trennen. Es gibt ein paar Themen, die verbindet man eher mit uns: Transparenzanträge oder solche zum Thema Freifunk. Aber auch die Wohnungsschutzsatzung kam von eher aus unserer Reihe, obwohl es klassisch eher ein Linken-Thema ist. Generell finde ich, dass es im Meerbuscher Rat ein gutes Klima zwischen den Fraktionen gibt. In unserer Fraktion gilt die Devise: Wenn der Antrag einer anderen Fraktion aus unserer Sicht richtig und gut ist, dann sind wir dabei, dann unterstützen wir den. Das ist die Politik 2.0, die wir in die Parlamente bringen wollen.
Zu Ihnen persönlich: Was haben Sie eigentlich politisch gewählt, als es die Piraten noch nicht gab?
Becker: Ich komme aus einem klassischen sozialdemokratischen Haushalt, bei uns wurde immer SPD gewählt. Bis irgendwann Entscheidungen in der SPD gefällt wurden, die ich nicht mehr mittragen konnte. Deshalb bin ich zu den Piraten gegangen. Mich fragen die Leute immer: Warum bist Du noch bei den Piraten, die sind doch nur bei zwei Prozent. Solange es aber keine Alternative zu den Piraten gibt, bleibe ich dabei. Die Alternative sehe ich noch nicht.
Und was wäre eine ?
Becker: Eine Alternative? Mit Sicherheit nicht die Alternative.