Zugunglück Zugunglück in Meerbusch - Schwerverletzte stundenlang ohne Hilfe

Ein Regionalzug prallt bei Meerbusch auf offener Strecke gegen einen Güterzug, über 40 Menschen werden verletzt. Am Mittwoch wird klar, der Zug hätte den Gleisabschnitt nicht befahren dürfen.

Ein Kran soll den verunglückten Zug am Mittwoch bergen.

Foto: Arnulf Stoffel

Meerbusch. Die Deutsche Bahn hat damit begonnen, die beiden verunglückten Züge vom Gleis in Meerbusch bei Neuss zu bergen. „Dabei ist ein schwerer Notfallkran im Einsatz“, teilte die Bahn am Mittwoch mit. Erst wenn die Arbeiten abgeschlossen seien, lasse sich beurteilen, welche Schäden an der Infrastruktur entstanden seien. Dann könne auch entschieden werden, wann die Strecke wieder in Betrieb genommen werden könne. Probleme bereitete unter anderem die zerstörte und in Teilen herabhängende Oberleitung. Der Zugbetreiber National Express und die Deutsche Bahn rechnen mit längeren Bergungsarbeiten.

Der Personenzug, der bei Meerbusch auf einen Güterzug aufgefahren ist, hätte den Gleisabschnitt nicht befahren dürfen. Das sagte ein Sprecher der Bundesstelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchungen in Bonn am Mittwoch unserer Zeitung. Was aber dazu geführt habe, dass der Personenzug eingefahren ist, das könne noch nicht gesagt werden. Dies sei keine Schuldzuweisung an den Lokführer. Es müsse noch geklärt werden, ob etwa die Signale falsch geschaltet waren oder sie vom Lokführer übersehen wurden.

Die Fahrtenschreiber beider Züge seien sichergestellt und ausgelesen worden, sagte Sprecher Gerd Münnich. Auch in den Stellwerken wurden demnach Informationen gesichert. Der Bahnfunkverkehr sei ebenfalls aufgezeichnet worden. Danach ergebe sich das Bild, dass der Güterzug ordnungsgemäß gehalten und auf das Signal zur Einfahrt in den Bahnhof Meerbusch-Osterath gewartet habe. Damit sei die Strecke für den nachfolgenden Verkehr eigentlich gesperrt. „Der Personenzug hätte in den Abschnitt nicht reinfahren dürfen“, sagte Münnich. Die Bundesstelle stufte die Kollision als schweren Unfall ein, bei der die Schadenshöhe von zwei Millionen Euro überschritten sein dürfte.

Mit einem schweren Kran soll im Laufe des Tages der verunglückte und stark beschädigte Güterzug in Meerbusch beseitigt werden. „Wir werden zunächst die zerstörte Oberleitung beseitigen müssen“, sagte Bahnsprecher Dirk Pohlmann am Mittwochmorgen. Es sei aber schwierig, zunächst an dem beschädigten Waggon vorbei zu gelangen, auf den am Dienstagabend ein Regionalzug aufgefahren war. Danach werde versucht, die entgleisten Waggons aufs Gleis zu stellen und abzutransportieren. „Wir werden sicher den ganzen Tag über damit beschäftigt sein“, sagte Pohlmann.

Schwerverletzte bei Zugunglück in Meerbusch
21 Bilder

Schwerverletzte bei Zugunglück in Meerbusch

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Bei dem schweren Zugunglück sind nach jüngsten Angaben der örtlichen Feuerwehr 41 Menschen verletzt worden. Sieben von ihnen seien schwer, einer lebensbedrohlich verletzt worden, teilten die Einsatzkräfte am Mittwoch mit. Insgesamt befanden sich demnach in dem auf einen Güterzug aufgefahrenen Regionalexpress 173 Menschen, von denen 132 unverletzt blieben.

Ein Sprecher der Bundespolizei hatte am Mittwochmorgen dagegen angegeben es seien 50 Menschen im Zug verletzt worden; 41 von ihnen leicht unter anderem mit Schocks und Hautabschürfungen, 9 schwerer. Bereits am Abend des Unglücks hatten sich Feuerwehr und Bundespolizei in ihren Angaben zu den Verletzten wiederholt korrigiert.

„Die Medizin ist ein bisschen grau und eine Verletzung wie eine Verrenkung tritt in einigen Fällen auch erst später auf“, sagte Zellerhoff, der ärztliche Leiter Rettungsdienst im Rhein-Kreis am Mittwoch zu den unterschiedlichen Angaben. Er wollte sich zunächst nicht auf eine genaue Zahl von Verletzten festlegen.

Der betroffene Zugbetreiber National Express rechnet fest mit einer erfolgreichen Suche nach der Unfallursache. „Es ist bei solchen Unglücken eigentlich immer im Nachhinein herausgekommen, wo das Problem lag“, sagte Marcel Winter, der Sprecher von National Express Rail, der Deutschen Presse-Agentur. Im Bahnverkehr werde fast alles aufgezeichnet und gespeichert. „Manchmal zieht sich die Suche etwas hin, manchmal geht es schneller“, sagte er weiter. Winter zeige sich überzeugt, dass im Laufe des Mittwochs noch kein Zug über die Strecke fahren kann. „Züge und Oberleitung sind demoliert, das Gleisbett müssen wir prüfen“, sagte Winter.

Im WDR hatte ein Zuggast davon berichtet, dass der Zug nur wenige Minuten vor dem Zusammenprall wegen eines anderen Zuges auf der Strecke schon angehalten hatte. Der Zugbetreiber will sich im Laufe des Mittwochs detaillierter zu dem Zugunglück äußern. Auch bei der Deutschen Bahn gab es am Mittwochmorgen noch keinen neuen Erkenntnisse dazu wieso der verlassene Güterzug auf offener Strecke stand.

Das Unglück passierte zwischen Osterath und Neuss auf Höhe des Neusser Feldwegs am Bahnübergang Meerbuscher Straße. Bis in die späte Nacht wurden verletzte Personen vor Ort versorgt und in die Krankenhäuser gebracht. Um 0:50 Uhr meldete die Feuerwehr dann, dass alle Personen den Zug verlassen haben.

National Express strich zunächst alle Fahrten auf der Strecke und richtete zwischen Neuss und Krefeld einen Busersatzverkehr ein. Im Stundentakt werden Busse zwischen Neuss und Krefeld eingesetzt. Die Deutsche Bahn rechnet trotz der Streckensperrung nicht mit Auswirkungen auf den Regionalverkehr. Dies sei „nach aktuellem Kenntnisstand“ nicht zu erwarten, sagte ein Bahnsprecher.

Die Züge des RE10 „Niers-Express“ können nach Anhaben des Zugbetreibers NordWestBahn nur zwischen Kleve und Krefeld-Oppum fahren und werden nach Duisburg umgeleitet. Von dort aus bestehe Anschluss an die Züge des Nahverkehrs. Verspätungen und kurzfristige Ausfälle seien dennoch möglich.

„Wir haben Riesenglück gehabt, das ist ein Wunder, das hätte deutlich schlimmer ausgehen können“, sagte am Dienstagabend Marcel Winter. Fahrgäste sprachen von einem „großen Knall“ und einer Vollbremsung. Bei dem Aufprall wurde der Lokführer in seiner Fahrerkabine verletzt, konnte aber lebend geborgen werden. Winter: „Er steht unter Schock.“

Mit einer Notbremsung hat der Lokführer des Personenzugs am Dienstagabend bei Meerbusch in Nordrhein-Westfalen einen noch schwereren Zusammenprall verhindert. „Der Triebfahrzeugführer hat eine Vollbremsung eingeleitet“, sagte Winter, der Deutschen Presse-Agentur. Der Mann habe sich damit vermutlich selbst das Leben gerettet.

Kirsten Verbeek, Pressesprecherin der Bahn in NRW, konnte am Abend noch keine Angaben machen, warum der Güzterzug sich im Bahnhofsbereich aufhielt. Die Waggons des Zugs waren mit Schüttgut beladen. Auf den Fotos sieht man den Aufprall-Waggon, der Rest des Güterzuges wurde nach dem Aufprall abgekoppelt und nach vorne geschoben.

Bis nach Mitternacht waren die Rettungskräfte mit der Evakuierung des verunglückten Zugs beschäftigt. Eine abgerissene Oberleitung, die den Zug unter Strom setzte, erschwerte die Rettungsaktion zunächst. Die Feuerwehr war nach eigenen Angaben mit mehr als 200 Einsatzkräften an der Unfallstelle.

Mehrere Feuerwehren aus der Region eilten zur Unfallstelle und koordinierten von dort den Einsatz. Die Versorgung der Menschen im Zug genieße „hohe Priorität“, erklärte die Feuerwehr Meerbusch. Das Problem: Aufgrund einer abgerissenen Oberleitung hatten die Rettungskräfte lange große Schwierigkeiten, zu den Passagieren in dem Regionalexpress vorzustoßen.

Während der Bergungsarbeiten versammelten sich Angehörige von Zuginsassen am Abend und in der Nacht an einer rund 800 Meter entfernten Tankstelle — und hofften dort auf positive Nachrichten. Die Bundespolizei richtete eine Hotline (Rufnummer: 0211 179276-411) ein. Auch ausländische Generalkonsulate hätten sich dort erkundigt, ob ihre Staatsangehörigen unter den Verletzten seien. Die Anfragen seien dann mit Feuerwehr und Rettungsdiensten koordiniert worden.

Der Triebwagen des RE 7 wurde beim Aufprall auf den Güterwaggon im Bereich der Fahrerkabine zwar schwer beschädigt und durch die Wucht der folgenden acht Passagierwagen leicht angehoben, sprang aber nicht aus dem Gleis.

Kanzlerin Angela Merkel verfolgte am Dienstag laut Regierungssprecher Steffen Seibert die Lage nach dem Zugunglück bei Meerbusch. „Hoffentlich kann allen Verletzten rasch geholfen werden. Dank für den Einsatz der Rettungskräfte“, twitterte Seibert am Dienstagabend. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet wünschte den Verletzten eine „baldige Genesung“.

Das Unglück weckt Erinnerungen an einen Zusammenstoß im bayerischen Bad Aibling. Im Februar 2016 waren dabei zwei Nahverkehrszüge zusammengestoßen. Zwölf Menschen starben, 89 Insassen wurden verletzt - einige von ihnen lebensgefährlich. Im August 2014 rammte ein Güterzug in Mannheim einen Eurocity mit 250 Passagieren - zwei Waggons stürzten um, 35 Menschen wurden verletzt. Das schwerste Zugunglück in Deutschland der vergangenen Jahrzehnte ereignete sich im Juni 1998 in Eschede: 101 Menschen starben, als mehrere Waggons eines ICE bei Tempo 200 nach einem Bruch des Radreifens gegen eine Brücke prallten. dpa/Red/AFP