Interview Anne Weddeling-Wolff und Klaus Heesen Corona hat den Schulalltag verändert

Meerbusch. · Anne Weddeling-Wolff leitet die Martinus-Schule in Strümp, Klaus Heesen ist Schulleiter an der Maria-Montessori-Gesamtschule in Büderich. Beide haben ein solches Jahr wie dieses noch nie erlebt.

Anne Weddeling-Wolff leitet die Martinus-Schule in Strümp.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

In den Weihnachtsferien können Klaus Heesen, Leiter der Städtischen Maria-Montessori-Gesamtschule, und Anne Weddeling-Wolff, Leiterin der Martinus-Schule, ein wenig durchatmen und auf ein besonderes Jahr zurück blicken.

Wie viel Prozent Ihrer Aufgaben hatten zuletzt mit Corona zu tun?

Klaus Heesen: Da die Auswirkungen der Corona-Pandemie in nahezu allen schulischen Bereichen zu spüren sind, gehe ich von rund 50 Prozent aus.

Klaus Heesen leitet die Städtische Maria-Montessori-Gesamtschule in Büderich.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Anne Weddeling-Wolff: Corona ist zu einem Querschnittthema für mich als Schulleiterin geworden. Es gibt kaum Arbeitsbereiche, die nicht durch die Pandemie beeinflusst werden. Einige neue Aufgaben kommen hinzu. Etwa die Kenntnisnahme und Verarbeitung neuer Vorgaben, die Entwicklung und regelmäßige Anpassung von Hygienekonzepten, das Entwickeln von Konzepten zur lernförderlichen Verbindung von Distanzlernen und Präsenzunterricht und die Überarbeitung des Medienkonzeptes.

Haben Sie als Schulleiter jemals ein vergleichbares Jahr erlebt?

Heesen: Nein, zum Glück nicht. Wir haben immer wieder einmal außergewöhnliche Ereignisse im schulischen Kontext, aber eine derartig umfassende und lang anhaltende Situation bislang nicht.

Weddeling-Wolff: Nein. So ein Jahr habe ich noch nicht erlebt, und ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ein Virus auf diese Art und Weise den schulischen Alltag durcheinander wirbeln könnte.

Welche Erfahrungen waren in den vergangenen Monaten für Sie prägend – positiv wie negativ?

Heesen: Die Schulentwicklung hat im digitalen Bereich große Fortschritte gemacht. Die Wichtigkeit und die viel größere Wirksamkeit des Präsenzunterrichts wurde erkannt, wie auch die Wichtigkeit des Miteinanders im direkten Kontakt. Der Austausch innerhalb der Schulgemeinde ist deutlich intensiver geworden – wir sind virtuell enger zusammengerückt. Negativ: Die knappe personelle Ressourcenlage und die unzureichende Ausstattung der Schulen haben vieles erschwert.

Weddeling-Wolff: Zunächst einmal erinnere ich mich an viele Gespräche im Kollegenkreis, aber auch im Schulleiterkreis über Möglichkeiten, den Alltag und besondere Momente des Schuljahrs anders, aber auch gut für die Kinder zu gestalten. Selten hatte ich den Eindruck, dass Resignation entsteht. So mussten wir die Abschiedsfeiern und Einschulungsfeiern umgestalten. Einige Beispiele: Wo wir vorher mit allen Klassen feierten und Trubel herrschte, wurden die Feiern nun in den Klassen mit reduzierter Gästezahl durchgeführt. Der Trubel wich einer höheren Intimität, der Feierlichkeit tat die neue Form keinen Abbruch. Da, wo wir uns nicht zum Adventssingen treffen durften, gab es nun über die Sprechanlage ein Adventsradio, der Besuch der Gottesdienste erfolgte in kleineren Gruppen mit Abstand. Die Bereitschaft der Lehrer und Mitarbeiter des Offenen Ganztags, sich in besonderer Weise für das Wohl der Kinder einzusetzen, ist bemerkenswert. Sie sind diejenigen, die den Kindern in dieser Zeit in der Schule Sicherheit und Zuversicht vermittelten. Die Lehrer gestalteten den Unterricht so, dass von Zuhause, aber auch in der Schule gut gelernt werden konnte. Sie setzten sich mit digitalen Möglichkeiten des Lernens auseinander und haben besondere Angebote geschaffen. Etwa digitale Adventskalender, die digitale Pinnwand für die Übermittlung von Unterrichtsinhalten und Erklärvideos. Alle waren stets gesprächsbereit für Kinder und Eltern. Die schnelle Abfolge von Vorgaben hat zu Beginn der Pandemie unsere Planungen und Routinen bestimmt. Von Woche zu Woche haben wir Planungen anpassen müssen. Diese Erfahrung wird sicherlich für lange Zeit die Schule prägen. Viele Lehrer bedauerten besonders, dass nicht mehr so unbeschwert gesungen werden durfte. Die Kinder genossen in dieser Zeit besonders das Angebot der Singpause, die wir dank der Kooperation mit der Musikschule anbieten können. Sie Kinder sangen draußen oder in einem großen, gut gelüfteten Saal mit Abstand und Maske. Besonders prägend war die Erfahrung, wie großartig die Kinder mit der neuen Situation umgehen. Sie halten die neuen Regeln vorbildlich ein. In den Klassenräumen gibt es Kinder, die beispielsweise die Aufgabe übernehmen, die Fenster alle 20 Minuten zu öffnen. Wir haben erfahren, wie wichtig die Kooperation in der Schule im Jahrgangsstufenteam, mit den Mitarbeitern des Ganztags und mit den Eltern ist. Das Feedback der Eltern zeigt uns, wie bedeutend diese Arbeit für die Familien ist.

Das Virus begleitet uns seit mehr als neun Monaten. Wie gehen Schüler und Kollegium mittlerweile mit der Krise um?

Heesen: Es ist eine Gemengelage: Einerseits wird der Umgang mit den Hygienemaßnahmen immer selbstverständlicher und routinierter. Andererseits wächst die Anspannung, da die Fälle im näheren Umfeld zunehmen. Unterrichtlich bereiten wir uns alle auf die Möglichkeit des Distanzunterrichts durch weitere Schulungen vor. Ich erlebe den innerschulischen Umgang mit dieser besonderen Situation als sehr konstruktiv.

Weddeling-Wolff: In der Schule setzen die Kinder und Pädagogen die Hygienevorgaben nach wie vor selbstverständlich und zuverlässig um. Der Unterrichtsalltag ist kaum beeinträchtigt. Corona ist im Unterricht, im Kollegium und in Gesprächen mit Eltern immer wieder Gesprächsthema, und der Austausch hilft bei der Bewältigung von Ängsten. Die Struktur des Schulalltags und die sozialen Kontakte sind für die Kinder von enormer Bedeutung. Aber auch die Kollegen begrüßen trotz der enormen Belastung und eigener Sorgen die Möglichkeit des Präsenzunterrichts.

Sie sind in Meerbusch Vertreter Ihrer jeweiligen Schulform. Wie nehmen Sie die Stimmung an den anderen Schulen wahr?

Heesen: Die Situation ist an allen weiterführenden Schulen sehr ähnlich. Wir tauschen uns in Videokonferenzen aus und vereinbaren gemeinsames Vorgehen. Dabei übersehen wir natürlich nicht, dass die Schulen spezifische Bedarfe haben. Uns war es aber beispielsweise wichtig, eine gemeinsame Verabredung über die gleiche Ausstattung von Lehrern und Schülern mit mobilen Endgeräten an allen Schulen zu treffen.

Weddeling-Wolff: Wir pflegen einen intensiven Austausch, zuletzt über Videokonferenzen und Mail. Den Austausch empfinde ich momentan als wichtiger denn je. Besonders zum Thema Digitalisierung, aber auch zu Hygienekonzepten und Höhepunkten des Schuljahrs haben wir uns besprochen. So wie ich es mitbekomme, sind alle Schulen bestrebt, der Situation gerecht zu werden und unternehmen enorme Anstrengungen dafür. Besonders dann, wenn Quarantänen bereits erfolgen mussten, liegen manchmal die Nerven bei Eltern und Kollegen blank.

Was bedeutet Schule im Corona-Modus unter Lernaspekten?

Heesen: Der zweite Lockdown hat uns nochmal zurückgeworfen. Das Lernen und insbesondere das digitale Arbeiten scheinen jedoch insbesondere in den höheren Jahrgängen vielfach ernsthafter angenommen und zu einer Selbstverständlichkeit zu werden.

Weddeling-Wolff: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Lernentwicklung beeinträchtigt ist. Das ein oder andere Thema ist etwas verkürzt bearbeitet worden, aber die wesentlichen Kompetenzen konnten entwickelt werden. Dabei haben die Eltern im Distanzlernen unterstützt.

Wie läuft in der Krise die Zusammenarbeit und der Austausch mit der Stadt Meerbusch?

Heesen: Wir haben einen sehr kurzen Draht zur Schulverwaltung der Stadt Meerbusch. Die Mitarbeiter sind unglaublich engagiert und unterstützend. Wir treffen immer auf offene Ohren und die Bereitschaft zur gemeinsame Suche nach konstruktiven Lösungen. Das gleiche gilt für die anderen Abteilungen, wie etwa Service Immobilien, das Grünflächenamt, einfach alle, die mit Schule befasst sind.

Weddeling-Wolff: Wir haben in der Krise die Mitarbeiter der Stadt Meerbusch als besonders unterstützend erlebt. Die Unterstützung mit Rat und Tat hat uns geholfen, viele Hürden zu nehmen. Dabei ist beispielsweise die enorme Unterstützung in der digitalen Ausstattung zu nennen. Aber auch in Bezug auf die Hygienekonzepte wurden wir schnell und zuverlässig unterstützt. Zu nennen ist hier etwa der zügige Einbau von zusätzlichen Waschbecken, sodass die Räume für die Angebote im offenen Ganztag genutzt werden konnten. Vom Grünflächenamt wurden wir beim Bepflanzen unseres Außengeländes unterstützt, was wir aufgrund der Hygienevorgaben nicht mehr mit Hilfe der Eltern machen konnten.

Die Stadt hat zuletzt viel für die digitale Ausstattung der Meerbuscher Schulen getan. Wie muss es nun weitergehen?

Heesen: Wir haben hier in Meerbusch wirklich einen großen Schritt gemacht. Nachdem nun die Lehrer mit mobilen Endgeräten ausgestattet sind, geht es mit den Schülern weiter. Einer kleinen Zahl von Schülern konnten wir bereits die Geräte ausgeben. Ich bin optimistisch, auch bald die übrigen ausstatten können. Während des erneuten Lockdowns war die Erreichbarkeit des Rechenzentrums die Engstelle für das digitale Arbeiten. An den ersten Tagen waren die Plattformen vormittags so gut wie nicht erreichbar. Das wird mit dem Betreiberwechsel hoffentlich besser. Die ersten Kontakte mit den Administratoren des neuen Netzanbieters waren sehr positiv. Die Sicherstellung der technischen Infrastruktur ist eine wichtige Grundlage für das digitale Arbeiten. Außerdem gilt es nun, insbesondere die Schüler im Einsatz der neuen Geräte zu schulen und die Lehrer natürlich weiterhin auch.

Weddeling-Wolff: Schon seit einiger Zeit war Meerbusch auf dem Weg, die digitale Ausstattung der Schulen weiterzuentwickeln. Die Krise hat für einen enormen und entscheidenden Aufwind gesorgt. Es ist abzusehen, wann alle Schule ihr Wlan freigeschaltet bekommen, die Klassen mit digitaler Präsentationstechnik ausgestattet sind und alle Kinder über ein digitales Endgerät verfügen. Die Lehrer haben ihre Endgeräte bereits bekommen, und die für die berechtigten Schüler stehen zur Ausgabe bereit. Alle Grundschulen verfügen inzwischen über einen Logineo-Zugang und über die Lernplattform Moodle. Die Möglichkeiten dieser beiden Plattformen müssen gesichtet werden. Die schuleigenen Medienkonzepte müssen nun erweitert und den Möglichkeiten angepasst werden. Die Aufgabe der Kollegien ist insbesondere, sich mit den digitalen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und Unterrichtsplanungen an die neuen Medien anzupassen. Die Kollegen nehmen momentan schon an digitalen Fortbildungen teil. Wir planen nun passgenaue, schulinterne Fortbildungen.

Was wünschen Sie sich?

Heesen: Ich wünsche mir dringend eine Aufstockung der Personalausstattung der Schulen. Wir brauchen außerdem Unterstützung bei der Arbeit mit digitalen Medien, sowohl bei der Einrichtung und Wartung als auch bei der Klärung, welche Tools datenschutzrechtlich zulässig, welche bedenklich sind. Ich wünsche mir bei Vorgaben mehr zeitlichen Vorlauf und längerfristige Perspektiven.

Weddeling-Wolff: Es wäre wünschenswert, dass die Schulen personell entlastet werden. Außerdem brauchen wir nach dieser enorm stressigen Zeit eine Zeit des Innehaltens, um die Erfahrungen reflektieren zu können und in der Schulentwicklung zu berücksichtigen. Besonders die begonnene Arbeit in der Medienentwicklung wird bei uns in der nächsten Zeit im Fokus stehen und braucht Zeit.

Gibt es etwas Positives, das Sie für sich aus den Erlebnissen in der Corona-Krise mitnehmen?

Heesen: Viele Schüler haben erkannt, wie wichtig für sie die Schule, wie wichtig für sie das Miteinander ist. Der Umgang mit den digitalen Medien ist hinsichtlich des Lernens viel selbstverständlicher geworden. Sowohl unsere Schüler als auch wir Lehrer haben einen deutlichen Lernzuwachs in der Nutzung digitaler Medien. Wir haben sehr direkte und schnelle Kommunikationswege mit der gesamten Schulgemeinde, also Lehrer, Eltern und Schüler, eingerichtet, die wir auch weiterhin gut nutzen können und werden. Die Krise war der Auslöser für eine Stärkung der digitalen Ausstattung der Schulen, die längst überfällig war und bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Ich habe im Kollegium eine große Bereitschaft erlebt, auf die zum Teil sehr kurzfristigen Änderungen mit viel Einsatz zu reagieren und konstruktive Lösungen zu finden.

Weddeling-Wolff: Besonders positiv erlebe ich das Zusammenwachsen der Menschen im schulischen Alltag. Der freundliche und wertschätzende Umgang miteinander und die gegenseitige Unterstützung sind großartig. Dieses Gefühl wird unsere Arbeit weiter begleiten.

Mit welcher Botschaft haben Sie Ihre Schüler und Kollegen in die Weihnachtsferien entlassen?

Heesen: Ich bin froh und dankbar für den konstruktiven, unaufgeregten und verantwortungsbewussten Umgang mit der Krise in der Schule. Wenn wir uns alle weiterhin verantwortungsbewusst verhalten, haben wir eine große Chance, die nächsten Monate gut durchzustehen. Ich hoffe, dass wir im Sommer wieder Normalität erleben.

Weddeling-Wolff: Alle haben dazu beigetragen, den Herausforderungen dieser Krise zu begegnen. Der wertschätzende Umgang miteinander hilft uns dabei besonders. Ich bin sicher, dass es uns auch in den nächsten Wochen oder Monaten gelingen wird und hoffe weiterhin auf gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Unterstützung.