Demenz: Die Krankheit selbst erleben

Ein Parcours zeigt, wie hilflos ein dementer Mensch sein kann.

Foto: Berns

Kaarst. Vorsichtig versuche ich, ein Stückchen Fleisch auf die Gabel zu schieben, nehme das Messer zu Hilfe und schaffe es nach einer gefühlten Ewigkeit, das Stück endlich auf den Teller zu legen. Bei den Kartoffeln und dem Salat gebe ich nach zehn Minuten auf. Ich bin wütend. Dann esse ich eben nichts. Danach ziehe ich mich an. Ich streife grobe Gartenhandschuhe und einen Kittel über und will dessen Knöpfe schließen. Die laut tickende Uhr gibt mir zwei Minuten. Einen Knopf schaffe ich, dann ist die Zeit abgelaufen.

Petra Kinzel, Leiterin des sozialen Dienstes

Frustriert versuche ich anschließend, mir einen vorgezeichneten Weg zu merken und ihn dann nachzuzeichnen. Es kommen nur Gekritzel und ein völlig falscher Weg heraus. Meine Partnerin Antje Schlossbauer liest mir eine lange Liste von Wörtern mit verdrehten Buchstaben vor. Danach soll ich sechs Backzutaten nennen und sie ohne Benutzung des Klarnamens beschreiben. Das muss für einen Sprachjunkie wie mich doch eine leichte Übung sein! Verzweifelt stelle ich fest, dass ich mich nur noch an zwei Wörter erinnere — Hockentrefe und Minkeldehl — und sie auch umschreiben kann. Der Rest ist einfach weg.

Die nächste Aufgabe: Decke den Frühstückstisch für eine Person, so wie du es immer gemacht hast und bereite das Frühstück zu! Gemeinsam mit Ursula Kurella schätze ich die Arbeitsschritte: 20. Von wegen, es sind 42! Anhand von Fotokarten rekonstruieren wir den Ablauf und halten nicht immer die richtige Reihenfolge ein. Ganz stolz bin ich, als es mir gelingt, das „Aufräumen“ von Glaskugeln, Tüten, Stiften und Gummibändern in zwei Minuten zu schaffen. Das „Abendessen“ ist aber ein totaler Misserfolg: Es gelingt mir nicht, Murmeln mit Hilfe eines Löffels in Becher zu bugsieren.

Jetzt weiß ich, wie sich Erna Müller täglich fühlt: hilflos und unsicher. Sie ist die fiktive Person, in deren Haut man beim im Johanniterstift aufgebauten Demenzparcours „Hands-on Dementia“ schlüpft, der den Tagesablauf eines dementiell erkrankten Menschen in 13 Stationen vom Aufstehen bis zum Abendessen durchspielt. Da ich alle Alltagsvorrichtungen in einer Box vor einem Spiegel durchführen muss, gelingen sie mir nicht oder kaum. „Ist doch nicht so schwer, Mutter, wir bereiten dir alles vor und du musst nur noch ganz wenig machen“: So liest es Erna an jeder Station. Und ich falle auch erst darauf rein. Meine Wut über mein Unvermögen mischt sich mit Enttäuschung und Resignation, den Essversuch — die „Speisen“ waren farbige Papierkugeln — breche ich ja einfach ab. Das Gefühl der Hilflosigkeit dominiert — ich sehne mich nach einem Menschen, der mir liebevoll begegnet und mich ohne Vorwürfe und Besserwisserei unterstützt.

„Genau das soll der Parcours vermitteln: die Welt eines Demenzkranken nachempfinden und so mehr Verständnis für ihn entwickeln“, erklärt Petra Kinzel, Leiterin des Sozialen Dienstes. Ursula Kurella ergänzt: „Die Erfahrung beim Frühstückbereiten war überraschend. Man bekommt so einen anderen Blick und versteht besser, was mit den dementen Menschen passiert.“

Das bestätigt auch Antje Schlossbauer: „Ich fand es sehr schwierig, sich die Wörter zu merken und zu umschreiben“, sagt sie. Kinzel erklärt, dass hier die Erfahrung der Aphasie — Wortfindungsstörungen und Sprachverlust — gezeigt werde. Der Parcours war für Mitarbeiter, Angehörige und Interessierte gedacht. Die rein weiblichen Teilnehmer am Demenz-Parcours hatten fast alle Angehörige mit Demenz in der Familie.