Die Ödnis im Neusser Leistungssport

Mit dem Abstieg vom HTC SW wird die Neusser Sportlandschaft noch ein Stück karger. Um das zu ändern, fehlt in der Stadt ein Konzept — und die Bereitschaft.

Foto: woi

Neuss. Heute um 15 Uhr empfängt der HTC Schwarz-Weiß Neuss den Nürnberger HTC im Stadion an der Jahnstraße. Es ist nicht nur das letzte Heimspiel der Saison, es dürfte auch für lange Zeit die letzte Partie sein, die eine Neusser Mannschaft in der Hockey-Bundesliga bestreitet. Denn nichts deutet unter den aktuellen Vorzeichen darauf hin, dass dem überalterten Team zum vierten Mal seit 2009 der direkte oder zumindest baldige Wiederaufstieg in die höchste Spielklasse gelingt. Im Gegenteil, Skeptiker sagen den Schwarz-Weißen eine ähnlich triste Zukunft voraus wie dem Gladbacher HTC, der als ehemaliges deutsches Spitzenteam inzwischen selbst in der Zweiten Liga gegen den Abstieg kämpft.

Sicher, viele Probleme der Neusser sind hausgemacht. Irgendwann holen jeden Verein, egal in welcher Sportart, Versäumnisse in der Jugendarbeit ein, vor allem, wenn er nicht über die finanziellen Mittel verfügt, diese durch „Zukäufe“ von außerhalb auszugleichen. Und nach dem passenden Trainer suchen sie an der Jahnstraße schon seit Jahren, haben es überdies verpasst, aus dem spielenden Personal einen Mann für die Bank aufzubauen.

Vor allem aber haben die Schwarz-Weißen viel zu lange versucht, Herren- und Damenhockey auf gleich hohem Niveau anzubieten. Doch das gibt das Umfeld des eher amateurhaft geführten Vereins einfach nicht her. Jetzt stehen sie nach dem „freiwilligen“ Rückzug der Damenmannschaft vor zwei Jahren und dem sportlichen Abstieg des Herrenteams vor einem Scherbenhaufen in beiden Bereichen — und tragen damit in erheblichem Maße dazu bei, dass Neuss immer mehr von der Karte des Leistungssports verschwindet.

Dass nur einen Steinwurf von den Hockeyplätzen entfernt der TC Blau-Weiss immer noch in der Tennis-Bundesliga mitmischt, grenzt unter den gegebenen Umständen fast schon an ein Wunder. Doch deren Saison dauert nur sechs Wochen. In den übrigen zehneinhalb Monaten herrscht in Neuss eine leistungssportliche Ödnis wie in kaum einer anderen deutschen Großstadt.

Die Nischensportarten Skaterhockey, Rudern und Damen-Golf dürfen sich von der Ligazugehörigkeit erstklassig nennen, die Basketballerinnen bereiten in der Zweiten Liga Freude, die Drittliga-Handballer streben nach Höherem — das war’s auch schon. Die beste Fußballmannschaft der gesamten Stadt wird in der siebtklassigen Bezirksliga auf dem siebten Tabellenplatz gelistet, die nächsten beiden, die als einzige noch über die Kreisgrenzen hinaus aktiv sind, folgen auf den Rängen elf und zwölf — eine traurige Bilanz, die angesichts von 155 000 Einwohnern rekordverdächtig sein dürfte.

Und Besserung ist nirgends in Sicht. Die nächste Beerdigungsfeier könnte an der Hessentorbrücke steigen, wenn die Galopprennbahn irgendwann den Betrieb einstellt — auch sie war einst eine Landmarke, nach der heute in Neuss kein Hahn mehr kräht. Der total verkorkste, gleichwohl teure Umbau hat ein Übriges getan, um die Akzeptanz schwinden zu lassen.

Und damit sind wir endlich beim Thema: Es fehlt in Neuss nicht nur an einem Konzept, dem Sport auf die Sprünge zu helfen. Es fehlt auch an der Bereitschaft dazu. Und das hat in erster Linie damit zu tun, dass es kein sportfreudiges oder sportfreundliches Klima in dieser Stadt (mehr) gibt. Sportpolitik bestand im vergangenen Jahrzehnt in erster Linie darin, Kunstrasen-Fußballplätze so übers Stadtgebiet zu verteilen, dass die herrschenden „Ortsfürsten“ befriedigt und befriedet wurden (wenngleich einige immer noch darauf warten).

Sportpolitik war und ist in Neuss eine Nebenbeschäftigung. Die CDU-Mehrheitsfraktion hat sie völlig aus den Augen verloren, die SPD tut sich schwer, die Lücke zu schließen, die der agile Heinz London mit seinem Rückzug ins Privatleben riss. Und in Horst Ferfers hat der letzte Sportdezernent, der diesen Namen verdiente, das Rathaus längst verlassen — seither ist Sport ein Anhängsel, mal an den Sozialbereich, aktuell an die Umwelt.

Das hat Folgen. Gesellschaftspolitisch und damit auch in der Wahrnehmung durch Sponsoren und Öffentlichkeit droht der Sport in Neuss in ein schwarzes Loch zwischen Schützenwesen und Subventionskultur zu versinken. Dabei sind die publikumsträchtigsten „Events“ hinter dem in dieser Hinsicht unerreichbaren Schützenfest drei Sportveranstaltungen: die Equitana, die Tour de Neuss und der Sommernachtslauf, die zusammengenommen mindestens so viele Besucher anlocken wie die Insel Hombroich in einem Jahr.