Eichaufnehmer im Hafen: Von Wasserlinie bis Eichmarke

Der Neusser Egbert Kemper misst die Ladung von Schiffen mit dem Zollstock.

Foto: Duhme

Neuss. An der Kaimauer türmt sich meterhoch dunkler Gips. Die Schaufel des Krans greift eine große Menge, schwenkt über den tiefliegenden Frachter und kippt den staubigen Inhalt aus. „Das war die letzte“, erklärt Egbert Kemper, nimmt seinen Zollstock und steigt auf das Schiff. Kemper und sein Messgerät gehören zum Hafen wie die Schiffe und ihre Fracht. Seit fast 50 Jahren stellt der Eichaufnehmer das Gewicht von Schiffsladungen fest.

An sechs Stellen des Schiffes hält er seinen Zollstock ins Wasser und misst die Seitenbordhöhe von der Wasserlinie bis zur Eichmarke. Mit dem „Archimedischen Prinzip“ (siehe Kasten) rechnet er aus, wie viel das Schiff geladen hat.

Der Kapitän begrüßt ihn. Man kennt sich im Hafen. Früher ist Egbert Kemper als Kapitän zur See gefahren. Auf dem Weg zum Kapitänspatent lernte er seine Frau kennen. Der Liebe wegen kam er nach Neuss: „Wenn man Familie gründet, will man ja an Land“, erklärt Kemper heute. Er ist Vater von zwei mittlerweile erwachsenen Söhnen.

1966 beginnt er in Neuss als Hafenmeister. Das Messen gehört damals zu seinen festen Aufgaben. An schrägen, bewachsenen Böschungen klettert er täglich auf die Schiffe herunter. „Damals war das noch nicht so schön befestigt wie heute. Da ist man auch mal ins Wasser gefallen. Oder zwei- oder dreimal“, berichtet Kemper und lacht. In ernster Gefahr sei er aber nie gewesen.

Öfter sei ihm wahrscheinlich der Zollstock aus der Hand ins Wasser gerutscht: „Da gibt es schon einen gewissen Verschleiß. Schätzungsweise 50 Stöcke habe ich in der ganzen Zeit genutzt.“

Vor zehn Jahren tritt er seinen Ruhestand an. Doch mit dem Zollstock ist er immer noch unterwegs. „Die Arbeit macht mir Spaß. Man ist draußen, kann mit den Schiffern reden und kommt mit Leuten zusammen. Das ist keine schwere Arbeit, das ist ja fast Unterhaltung“, findet der heute 74-Jährige.

Auf acht bis zehn Schiffen ist er pro Woche aktiv. Eichaufnehmer arbeiten auch in den Häfen in Duisburg, Köln und Essen. Doch es werden immer weniger. „Der Beruf ernährt den Mann nicht mehr“, sagt Kemper. Waagen ersetzen die Männer mit den Zollstöcken.

Auf dem Gipsfrachter ist Egbert Kemper nach zehn Minuten fertig. Er notiert die Ergebnisse auf den Papieren und klettert zurück auf die Kaimauer. Mit rund 3000 Tonnen Gips sticht das Schiff in See.

Wie lange er noch als Eichaufnehmer arbeitet, weiß er nicht: „So lange, wie ich Spaß daran habe.“