Führung durch den Atombunker
Der Schutzraum sollte unter dem Rathaus entstehen.
Neuss. Mal auf Augenhöhe mit dem Quirinus-Münster: Vom Uhrenturm des Neusser Rathauses aus genossen am Samstag die Teilnehmer der Themenführung „Neusser Räume“ ungewöhnliche Perspektiven. Wenige Minuten zuvor hatten sie noch im Atomschutzbunker unter dem neuen Rathaus gefroren, im riesigen Heizungskeller geschwitzt und vom Rathausbalkon schüchtern denen zugewunken, die auf dem Marktplatz ihren morgendlichen Kaffee tranken. Es waren erlebnisreiche und lehrreiche zwei Stunden — kein Wunder, dass die „Neusser Räume“ so beliebt und ständig ausgebucht sind. Vor allem der Bunker und der Gewölbekeller boten viele tolle Fotomotive. Das ist gut so, denn die Führungen sind mit einem Fotowettbewerb verknüpft.
Markus Möske ist als Beamter im Neusser Rathaus für Ratsangelegenheiten zuständig. Der 34-Jährige glänzte mit seinem Wissen. Das optisch wesentlich präsentere Rathaus wurde 1954 fertiggestellt, der Anbau stammt von 1989. Die Teilnehmer erfuhren, dass die politischen Ereignisse nach der Wiedervereinigung dazu führten, dass der Atomschutzbunker nicht fertiggestellt wurde. Die aufwendige Luftfilteranlage, die WCs aus Edelstahl, die Türen, dick wie die von Tresoren — das alles wurde nie gebraucht. Im Gewölbekeller reizte der morbide Charme dazu, auf den Auslöser der Kameras zu drücken. „Es sind Bohrungen durchgeführt worden um herauszufinden, ob es einst eine unterirdische Verbindung zum Zeughaus gab oder zum Münster, aber die Untersuchungen sind ergebnislos eingestellt worden“, erklärte Markus Möske. Die Gruppe machte auch einen Abstecher zur Alten Schmiede. Sie ist im Eigentum der Stadt und wird unter anderem für Konferenzen und als Trauzimmer genutzt.
Der neue Ratssaal bedeutete für viele Teilnehmer Neuland. An den Wänden: die Bilder früherer Bürgermeister. „Der Mann mit der großen Nase war kein Bürgermeister, es handelt sich um Friedrich I.“, erklärte Möske. Der habe der Stadt nach der letztlich erfolglosen Belagerung von Karl dem Kühnen und seinem Burgunderheer von 1474 bis 1475 ein Wappen gestiftet, die Marktrechte verliehen und die Erlaubnis erteilt, Münzen zu prägen. Markus Möske demonstrierte, wie sich die Bürgermeister-Glocke anhört und zeigte den Bürgermeister-Hammer als einstiges Zeichen seiner Macht. Klar wurde: Der spröde Charme der Adenauer-Zeit ist im 1950er-Jahre-Rathaus allgegenwärtig. Holzvertäfelungen verleihen den Räumen etwas Nobles.
Kein Original, aber sehr beeindruckend ist das Bild von der Belagerung der Stadt Neuss durch Karl den Kühnen im früheren Ratssaal, der heute als Kantine genutzt wird. Das alte Bürgermeister-Büro mit dem rötlichen Teppich auf Parkettboden dient heute als Besprechungszimmer. Wer von dort aus auf den Balkon tritt, fühlt sich automatisch ein kleines bisschen wichtig — und genießt den tollen Ausblick auf den Marktplatz.