I-Dötzchen haben Sprachprobleme
28,7 Prozent der Schulneulinge im Rhein-Kreis haben Defizite. 10,2 Prozent sind zu dick, 9,6 Prozent haben Untergewicht.
Rhein-Kreis. Keine kompletten Sätze bilden können, „sch“ wie „ch“ aussprechen, falsche Artikel oder Präpositionen nicht richtig benutzen — all das sind Sprachauffälligkeiten bei künftigen i-Dötzchen, die in den Bereich Sprachentwicklungsstörungen fallen, wie Barbara Albrecht vom jugendärztlichen Dienst des Rhein-Kreises erklärt. „In solchen Fällen muss geklärt werden, ob die Störung noch altersgerecht ist oder aber bereits therapiebedürftig“, sagt die Ärztin.
Kreisweit wurden 4002 Mädchen und Jungen vor Beginn des neuen Schuljahres im August untersucht. Bei der sogenannten Schuleingangsuntersuchung werden der körperliche und geistige Zustand der Kinder geprüft. Ein Ergebnis: Fast jeder dritte Schulneuling zeigt Sprachauffälligkeiten. Dazu gehören, wie Dr. Michael Dörr, Leiter des Kreisgesundheitsamtes ausführt, auch Fehler in der Artikulation oder mangelndes Sprachverständnis. Der Mediziner nennt ein Beispiel: Vorgelesene Texte können kaum mit eigenen Worten wiedergegeben werden. Woran’s liegt? „Den Kindern wird zu wenig vorgelesen“, sagt Dörr — und sie sitzen zu lang vor Computer, Spielekonsole oder Tablet. Eine halbe Stunde pro Tag sei für die Kleinen altersgerecht, eine halbe Stunde insgesamt wohl gemerkt, sagt Barbara Albrecht. Doch, wo die meisten Kinder bereits einen eigenen Fernseher im Zimmer, einen eigenen Computer und ein eigenes Smartphone sowie vielleicht noch eine Spielekonsole besitzen, ist die halbe Stunde ein frommer Wunsch.
Die Ergebnisse machen sich auch bei den niedergelassenen Logopäden bemerkbar. „Wir haben ab Mai noch eine Teilzeitkraft eingestellt, um alle Terminwünsche abdecken zu können“, sagt Vanessa Schulte von der Praxis Hamacher in Nievenheim. Weitere Sprachprobleme, die die Logopädin aus der Praxis kennt: „gr“ wird wie „dr“ ausgesprochen (z.B. drün statt grün) oder „kr“ wie „tr“ (z.B. Tran statt Kran). Auch Dativ und Akkusativ könnten viele nicht auseinanderhalten.
Nach wie vor ein Problem bei den Schulneulingen: Unter- und Übergewicht. Auch wenn die Untergewichtsquote kreisweit leicht zurückgegangen ist, aktuell liegt sie bei 9,6 Prozent, 2015 noch bei 10,3, ist sie in einigen Städten und Gemeinden recht hoch. Beispiel Rommerskirchen: Dort hatten im letzten Jahr 3,3 Prozent der i-Dötzchen Untergewicht, nun sind es 11,5. Deutlich zurückgegangen ist der Anteil in Meerbusch, von 17,2 Prozent in 2015 auf 10 Prozent. Auch in Grevenbroich ist der Anteil der zu dünnen Kinder rückläufig, von 10,9 Prozent (2015) auf 8,3. In Dormagen hat er zugenommen auf 10,6 Prozent (2015 noch 7,8 Prozent). Leicht zugelegt hat er auch in Jüchen (von 10,8 auf 11,5 Prozent), leicht abgenommen in Neuss (von 12,2 auf 11,4 Prozent) und Kaarst (von 4,9 auf 3,9 Prozent), in Korschenbroich ist die Zahl nahezu gleich geblieben (2015: 5 Prozent, 2016: 5,1 Prozent).
Eine Erklärung dafür hat das Kreisgesundheitsamt, wie Dr. Dörr sagt, nicht. „Als die Zahl der untergewichtigen Kinder im vergangenen Jahr in Meerbusch so hoch war, haben wir eine Elternbefragung gemacht. Leider ohne nennenswertes Ergebnis“, sagt er. Oder eins, das erst ein Jahr später offensichtlich wird, nämlich mit einer wesentlich geringeren Anzahl an untergewichtigen Kindern. Ein möglicher Grund könnte sein, dass bereits die Kleinen an irgendwelchen Schönheitsidealen festhalten, vermutet Dr. Dörr. „Auf alle Fälle gehen wir allen Ausreißern nach“, betont der Amtsarzt. Auf der einen Seite zu dünn, auf der anderen zu dick, denn ebenfalls fast jedes zehnte i-Dötzchen wiegt zuviel. Kreisweit liegt die Zahl bei 10,2 Prozent der untersuchten Kinder, deutlich darüber mit 14,2 Prozent in Korschenbroich, deutlich darunter mit 6,2 Prozent in Meerbusch (Dormagen 11,1 Prozent, Grevenbroich 11,6 Prozent, Neuss 9,8 Prozent, Kaarst 10,6 Prozent, Jüchen 9,9 Prozent und Rommerskirchen 10,6 Prozent).
Ein weiteres Ergebnis: Bei 16,9 Prozent der untersuchten Kinder wurden Koordinationsstörungen festgestellt. Die versucht das Kreisgesundheitsamt durch das Programm „Fit-Netz“, das in den Kindertagesstätten angeboten wird, zu verhindern. „80 Kitas sind schon dabei. Wir freuen uns über jede weitere Einrichtung, die dazu kommt“, so Dörr.
Doch es gibt auch erfreuliche Untersuchungs-Ergebnisse: Die Impfrate gegen Mumps-Masern-Röteln liegt kreisweit bei 96,6 Prozent, der Impfschutz generell bei 87,3 Prozent. Auch die Prozentzahl bei den Früherkennungsuntersuchungen liegen recht hoch: bei der U8 bei 95,8 Prozent, bei der U9 bei 91,1 Prozent. „Das ist zwar auch noch hoch. Doch wir machen immer wieder die Erfahrung, dass die Vorsorge-Angebote je älter ein Kind ist, umso weniger genutzt werden. Wir können die Eltern nur darauf aufmerksam machen, die Termine wahrzunehmen, verpflichten können wir sie nicht“, sagt Dörr.