Lakonisch, bissig, knarrend: Thalbach liest Ringelnatz

Feiner Abschluss des Literarischen Sommers.

Neuss. Neuss und Ringelnatz. Gibt man beide Begriffe bei Google ein, erscheinen zwei Sorten an Einträgen: Zum einen die Meldungen, dass die bekannte Schauspielerin Katharina Thalbach am 11. September Werke von Ringelnatz im Landestheater liest, und zum anderen eine Vielzahl an Berichten über den im Frühjahr beigelegten Streit um die Besitzrechte der Stadt an dem Gemälde „Makabere Szene — Dachgarten der Irrsinnigen“ aus der Hand des Dichters. Es gehörte ursprünglich dem jüdischen Kunstsammler Paul Westheim, der es 1933 bei seiner Flucht vor den Nazis zurücklassen musste, und bleibt nun nach einem Vergleich mit dessen Erben dauerhaft im Clemens-Sels-Museum. Insofern ist die Lesung von Katharina Thalbach nicht nur ein schöner, sondern auch ein klug geplanter Abschluss des Literarischen Sommers in Neuss.

In Jeans und einem unauffälligen schwarzen Oberteil betritt die kleingewachsene Schauspielerin unter großem Applaus die Bühne, setzt sich an den Tisch und legt fast ohne Umschweife los. „Die Ameisen“, „Der Bratapfel“, „Übergewicht“ — hintereinander weg liest sie diese grandiose Lyrik. Ihre unverwechselbar tiefe knarrende Stimme passt ebenso gut zu den komisch-kauzigen Texten Ringelnatz’ wie der lakonische und leicht bissige Ton, in dem sie diese Dichtkunst vorträgt.

Die Aufnahmen ihrer Ringelnatz-CD „Verzeihen Sie, wenn ich störe“ sind ein echtes Hörvergnügen, das Zuschauen aber ist es erst recht. Eigentlich macht die große Schauspielerin gar nicht viel, aber gerade ihr sparsamer Einsatz von Gesten und Mimik ist es, der Ringelnatz’ Pointen haargenau auf den Punkt bringt. Eine hochgezogene Augenbraue, ein vorschnellender Zeigefinger oder ein schiefes Lächeln — mehr braucht sie nicht, um Ironie und Süffisanz der Worte zu unterstreichen. Auch für die längeren Erzählungen, egal ob es die höchst amüsante Geschichte „Vom Zwiebelzahl“ ist oder die melancholische „Das — mit dem blinden Passagier“, für beide findet sie genau den richtigen Ton.

Das Publikum im Landestheater ist begeistert und spendet nach reichlich Zwischenapplaus auch dem Schlussgedicht „Weihnachten“ donnernden Beifall.