Neues von der Nederstraissen
Baugeschichte: Keller unter dem Schuhhaus stammt aus dem 12. Jahrhundert
<strong>Neuss. Vielleicht muss die Neusser Geschichte nicht umgeschrieben werden. Aber überraschende Erkenntnisse aus dem Mittelalter hat der Neubau eines Geschäftshauses an der Niederstraße schon gebracht. Nach Auswertung aller Funde aus archäologischer wie Historiker-Sicht steht nun fest: Die ersten Steinhäuser standen nicht am Büchel, sondern am Stadtrand an der Niederstraße, der alten "Nederstraissen". "Das war hier im 12. Jahrhundert die 1 A-Lage", kommentierte gestern die Archäologin Sabine Sauer vom Planungsamt. Ein Indiz ist die "Versteinerung" der Stadt. Die ersten steinernen Häuser standen für Wohlstand und Erfolg. Diese Häuser sind bisher für das 13. Jahrhundert am Büchel nachgewiesen, dem höchsten Punkt der alten Stadt. Nun aber ist durch die Restaurierung des Kellers unter dem Neubau belegt, dass hier bereits im 12. Jahrhundert ein Steinhaus stand. Hochwertige Keramikfunde zeugen zudem von Importen aus den heutigen Niederlanden. Der Keller unter dem Schuhhaus und die romanische Tuffsteinmauer mit einem Doppelfenster im Erdgeschoss sind das älteste erhaltene aufgehende Mauerwerk in Neuss - älter noch als die ältesten Stücke von St. Quirin. Die Untersuchungen von Kellerwänden und dem später angelegten Gewölbe, von Fachwerk, das sich noch am schmalen Durchgang zeigt, berichten den Wissenschaftlern von der Geschichte dieses frei stehenden, drei geschossigen Doppelhauses. Gebaut wahrscheinlich von einem Adligen oder reichen Bürger, wurde der Wohnsitz immer wieder umgebaut. Wahrscheinlich wurde auch dieses Haus wie fast alle Gebäude in Neuss beim großen Stadtbrand beschädigt oder zerstört. Als Fachwerkhaus wurde es im Jahr 1626 neu auf den Fundamenten des Steinhauses gebaut, nachzuweisen ist das durch Untersuchungen des verwendeten Holzes. Es entstanden die heute noch gut erhaltenen Gewölbe im sehr viel älteren Keller. Der Keller, an dem sich 800 Jahre Baugeschichte ablesen lassen, ist natürlich nicht frei zugänglich. Die beiden kleinen romanischen Fenster aber können Kunden des Schuhhauses Toll in Augenschein nehmen. Vielleicht wundern sie sich, dass der Rundbogen eines Fensters quadratisch ausgeschlagen ist: Hellblau gestrichen, diente das Fenster im 19. Jahrhundert wie in vielen Häusern als Mariengrotte.
Über die Funde in der Neusser Innenstadt und ihre Auswertungen ist jetzt auch ein vom Bauherrn Wolfgang Reipen finanziertes Buch erschienen. Darin sind auch soweit bekannt die Bewohner der Häuser aufgelistet: Nicht mehr Adlige oder reiche Bürger, sondern Postillon und Weichensteller, Mägde und Knechte, Wollspinner und "dienstbott".
Carl Pause und Sabine Sauer, "Bynnen Neuß vf der Nederstraissen", Die Baugeschichte der Häuser Niederstraße 47 und 49. Erhältlich für 14,80 Euro im Clemens-Sels-Museum.