Neuss: Halloween als Re-Import

Brauchtum: Früher sang die Dorfjugend für die Seelen Verstorbener – gegen süßes Brot.

Neuss. Es ist wieder einmal einer dieser Vor-Abende. Am Abend vor dem Nikolaustag werden die Stiefel vor die Tür gestellt. Am Abend vor dem Tag des Heiligen Martin ziehen die Kinder singend ausgerüstet durch die Straße. Der Heilige Abend führt zum Weihnachtsfest. Heute also der Abend vor Allerheiligen: All Hallow’s Eve auf englisch, oder verkürzt Halloween.

Seit einigen Jahren ist er zum Partyabend geworden, begleitet unweigerlich von Kürbissen und mit Totenschädeln oder Skeletten ausgestatteten Jugendlichen. Keltisch sei der Ursprung, wird hartnäckig behauptet; die Samhain-Feier sei der frühe Vorläufer dieses von den Iren wiederbelebten Festes.

Falsch, sagt Thomas Ludewig, Volkskundler am Clemens-Sels-Museum. Denn man weiß kaum etwas über dieses Samhain, das zum Jahresende wohl als eine Art Erntedankfest gefeiert wurde. "Ausgelassen und fröhlich", sagen die Forscher des Landschaftsverbandes Rheinland: "Samhain scheidet jedenfalls als Horror-Lieferant aus."

Doch Ludewig kennt ebenso wie der Grevenbroicher Theologe und Publizist Manfred Becker-Huberti andere Erklärungen, und die stehen mit dem Allerheiligen- und Allerseelenfest in engem Zusammenhang. Ab dem 9.Jahrhundert wurde kirchenweit am 1.November Allerheiligen gefeiert. Becker-Huberti weist darauf hin, dass durch irisch-schottische Missionare das Allerheiligenfest mit dem Datum 1.November auf den Kontinent kam - der dieser Tag symbolisierte nach irischer Tradition Winterbeginn und Jahresanfang. Das Fest jedenfalls galt dem Gedenken an die Heiligen und Märtyrer, die schon erlöst waren - anders als die gerade Gestorbenen, für die am Allerseelentag gebetet wurde, um ihnen so die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen.

Vom 18. bis zum 20.Jahrhundert, so berichtet es Thomas Ludewig, kennen die Volkskundler Umzüge in Dörfern: Junge Leute klopften an die Türen und boten Gebete für die armen Seelen im Fegefeuer an - gegen süßes Brot. "Christliche Feste feierte man nicht für sich allein", sagt Manfred Becker-Huberti, "sondern mit Bedürftigen": den Armen und den Kindern. "Um der armen Seelen willen”, so der Theologe, heischten die Kinder früher an vielen Orten und erhielten Äpfel, Getreide, Mehl, Schmalz, Geld und vor allem Brot.

In Irland gab es, basierend auf der Legende von "Jack o’ Lantern" eine Sonderentwicklung mit Umzügen samt Betteleien. Diese Bräuche nahmen ausgewanderte Iren sozusagen im Gepäck mit in die USA, und in den Vorstädten der Ostküste wurden die Halloween-Umzüge neuer Form seit den 1950er Jahren populär. Die Entwicklung ist bekannt: Hexenkostüme, Partys, Grusel-Touren.

In deutschen Landen beteten seit dem Mittelalter die Lebenden für die Toten. Im Clemens-Sels-Museum werden Zeugnisse der Volkskunst aus diesem Bereich verwahrt. Ein Faltbrief (s.Bild) zum Beispiel, wahrscheinlich aus dem 18.Jahrhundert, zeigt das Memento mori in rührenden bunten Bildern: Das Wissen um die Sterblichkeit ebenso wie die Erlösung, die ablaufende Uhr, den Baum der Erkenntnis, aus dessen Holz das Kreuz Jesu wird.

Von einem Hexenfest mit Kürbissen waren die Menschen damals weit entfernt. Ängste aber gab es auch: Wer sich in der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen nach draußen wagte, so Becker-Huberti, musste mit allem rechnen, denn Geister und Dämonen hatten freies Schalten und Walten.