Neuss: Senioren mit Kampfgeist

Einmal in der Woche trainieren Sportler zwischen 50 und 90 Jahren, wie sie sich gegen Angreifer wehren.

Neuss. Werner Hergraaven drischt mit rot behandschuhten Fäusten auf den Sandsack sein. Sein Trainingspartner hat alle Mühe, den Sack in Position zu halten. Trainer Edgar Geller nickt zufrieden. "Der Schlag muss auf Anhieb sitzen", sagt er. Hergraaven holt ein letztes Mal tief Luft, hebt den Fuß und tritt mit aller Kraft zu.

Hergraaven ist 62 Jahre alt. Es ist keine diffuse Angst, die ihn dazu getrieben hat, sich beim Selbstverteidigungskurs für Senioren des Polizeisportvereins anzumelden, sondern eine sehr konkrete. Zweimal haben ihn Jugendliche bereits auf der Straße zusammengeschlagen. Seit er einmal in der Woche in der Joseph-Beuys-Schule trainiert, fürchtet er nicht mehr, nachts alleine auf die Straße zu gehen.

Auf der Matte zwingt Mitstreiter Cornelius Engels (76) Trainingsgegner Klaus Wessel (69) nieder. Wessel fällt hart auf die Matte. Beim Aufstehen klopft er sich schweratmend den Staub von Hemd und Hose. Das Hemd weiß, die Hose schwarz - so will es die Vorschrift.

"Das sind echte Kampfmaschinen", sagt Geller, selbst 85Jahre alt, über seine Schüler. Gemeint ist, dass alle sich im Notfall verteidigen können und nicht zögern werden, als erstes zuzuschlagen. "Das ist die einzige Chance, die wir als Senioren haben. Wir müssen den Gegner überraschen und dann schnell verschwinden." Geller weiß, dass Senioren sich selbst bei unmittelbarer Gefahr scheuen, sich zu wehren. "Ich bringe meinen Schülern auch bei, Hemmungen abzubauen. Die haben die Angreifer schließlich auch nicht."

Im Kurs mitmachen dürfen Senioren jeden Alters. Ziel sei schließlich, mit wenig Kraft viel zu erreichen. Die Techniken, die er vermittele, hätten im Sport nichts zu suchen, sagt Geller. Schläge oberhalb des Halses zum Beispiel seien eigentlich tabu.

Eine der wenigen Frauen im Kurs, sie will nur Rami genannt werden, stößt ihre Finger mit einem Schrei in eine Figur aus Styropor. Mund und Nase sind nur angedeutet, die Augen große Löcher. Rami, 52Jahre alt, übt zielgenaues Treffen. Im Notfall kann sie ihren Gegner mit einem Stich ins Auge unschädlich machen. "Jede Frau sollte das lernen", sagt sie. "Wir sind schließlich besonders gefährdet."

Auch Edgar Geller fand erst spät zum Kampfsport. Mit 70 Jahren belegte er seinen ersten Kurs in Düsseldorf. Schon bald nahm er an Turnieren teil, trug Pokale nach Hause. Heute ist er Taekwondo-Meister, hat bereits den vierten Dan erreicht.

Sein hohes Alter nimmt den Senioren die Scheu - sie fürchten nicht, sich lächerlich zu machen. Einige beflügelt es auch: Sie nehmen ebenfalls an Taekwondo-Prüfungen teil. Zweck des Kurses sei das zwar nicht gewesen. Eigentlich sollten die Senioren sich nach einem halben Jahr so sicher fühlen, dass sie das Training nicht mehr nötig haben. "Aber der Sport hält uns schließlich auch fit", sagt Rami.