Neuss: Zeitsprünge - Jeder Meter ein Zeitsprung

Auf dem Stadtfest mit Neusser Geschichte konnten Besucher mit Leichtigkeit in die bewegte Vergangenheit der Quirinusstadt reisen.

Neuss. Mit geübtem Griff umklammert Michael Justen das Seil. Mit kleinen Schritten läuft er im 90-Grad-Winkel die glatte Wand hoch - es ist die Fassade des Neusser Rathauses.

An normalen Tagen klettert der 30-Jährige an der Neusser Skihalle. Doch heute ist kein normaler Tag, denn an diesem Wochenende steht die Neusser Innenstadt im Zeichen des Stadtfestes "Zeitsprünge".

Rund um Markt, Münsterplatz und Freithof laden alte Fotografien, historische Fahrzeuge und Kämpfer aus längst entschiedenen Schlachten dazu ein, die Vielfalt der mehr als 2000-jährigen Stadtgeschichte zu entdecken.

Der Balkon des Rathauses ist an diesem Sonntagnachmittag in rotes Tuch gehüllt. Die zahlreichen Zuschauer warten nicht auf eine Rede des Bürgermeisters - sie sind Zeugen der Wiederholung eines spektakulären Diebstahls: Soeben hat der berüchtigte Räuber Mathias Weber wieder zugeschlagen.

Der "Fetzer" hat es erneut auf den Rathausschatz abgesehen. Die Truhe hängt am Gürtel des Diebes, der jetzt das Dach des Rathauses erreicht. Doch sofort stellen ihn zwei Wachen.

Es sind Schützen des Sappeur-Korps, gegründet im Jahre 1830. Da jedoch war der "Fetzer" schon lange tot, eine Hinrichtung beendete seine Räuberkarriere 1803.

Der Festgenommene heißt Michael Justen und arbeitet als Kletterlehrer. Ein Leiterwagen der Feuerwehr mit 240 PS bringt ihn sicher zu Boden - einer von vielen Kontrasten auf diesem Stadtfest.

Wo sonst moderne Niederflur-Straßenbahnen fahren, steht jetzt ein Wagen aus dem Jahr 1926. Boden und Bänke sind aus Holz, hier riecht nichts nach Kunststoff "Dieser Wagen war bis 1971 im Einsatz, als die Neusser Straßenbahn abgeschafft wurde", sagt Volker Eichhorst.

Der 40-Jährige Straßenbahnfahrer erklärt, wie die Steuerung funktioniert: "Man brauchte beide Hände frei, um über eine große Kurbel zu bremsen und zu beschleunigen."

Ein gewaltiger Knall unterbricht ihn. Laut wie ein Kanonenschlag. Doch es sind nicht Schützen, die den Freithof in eine bläuliche Wolke tauchen. Der Schwarzpulvergeruch kommt aus einer Wallbüchse.

Die großkalibrigen Waffen kamen im Dreißigjährigen Krieg zum Einsatz. Ein Offizier der protestantischen Truppen löscht die noch glimmende Lunte.

Zwischen Zeughaus und Münster ist jeder Meter ein Zeitsprung. Neben einem römischen Schmied findet eine mittelalterliche Modenschau statt.

Daneben demonstrieren Infanteristen aus dem 12. Jahrhundert, wieso sie neben dem Kettenhemd noch zwei weitere Kleidungsschichten trugen. "22 Kilo wog so eine Ausrüstung", staunt Doris Dahmen.

Die 57-jährige Neusserin wünscht sich mehr Veranstaltungen dieser Art: "Neuss sollte mehr aus seiner reichen Geschichte machen!"