Herkunftssprachlicher Unterricht in Neuss Wie Schüler einen anderen Zugang zur Muttersprache finden
Neuss · Im Herkunftssprachlichen Unterricht soll die Muttersprache von Schülern gefördert werden, die zuhause eine andere Sprache als Deutsch sprechen. Das steckt hinter dem Konzept.
Seit 24 Jahren wird am 21. Februar mit dem Tag der Muttersprache die sprachliche Vielfalt gefeiert. Die Unesco will auch auf die Bedeutung von Mehrsprachigkeit und interkulturellem Verständnis aufmerksam machen. Dabei kommt Schulen eine besondere Rolle zu. Denn neben Fremdsprachenunterricht wird in einigen Schulen Herkunftssprachlicher Unterricht angeboten. Diese Kurse richten sich an Schüler, die zuhause eine andere Sprache als oder zusätzlich zu Deutsch sprechen.
In Neuss wird der Unterricht an 15 Schulen in 14 Sprachen angeboten. Das genaue Konzept sieht laut Angeliki Tikopoulou vom Schulamt des Rhein-Kreises in jeder Schule anders aus. „Wenn die zuerst gelernte Sprache weiter gefördert wird, dann ist es auch später einfacher, eine andere Sprache zu lernen“, sagt sie. „Man lernt im Kopf, Brücken zu bauen.“ Gerade im Grundschulalter sei dies wichtig, deshalb werde der Herkunftssprachliche Unterricht vor allem in Grundschulen angeboten. Untersuchungen weisen darauf hin, dass es im jungen Kindesalter einfacher ist, Sprachen zu lernen als im fortgeschrittenen Alter.
Tikopoulou betont jedoch: „Der Sinn vom herkunftssprachlichen Unterricht ist eigentlich nicht, eine neue Sprache zu lernen.“ Es gehe in erster Linie darum, den Schülern ein Umfeld zu bieten, in dem sie ihre Herkunftssprache präsentieren und ausleben dürften. Und sie müssten sich mit sprachlichen Problemen, die durch eine Vermischung der Herkunftssprache und der deutschen Sprache entständen, „nicht alleine quälen“, sagt sie. „Sie öffnen sich mehr und lernen schneller und besser als alleine.“
Diese Erfahrung macht auch Mostafa Houiyat. Der 52-Jährige unterrichtet vier Mal in der Woche nachmittags Arabisch an der Gebrüder-Grimm Grundschule in Erfttal. Auch er versucht in seinem Herkunftssprachlichen Unterricht, Vergleiche zwischen Arabisch und der deutschen Sprache herzustellen und mit den Schülern Gemeinsamkeiten zwischen den Sprachen festzustellen, um ihre Mehrsprachigkeit zu fördern.
Ebenso gehe es darum, durch das Vertiefen von Sprachstruktur, Rechtschreibung und Grammatik für die eigene Sprache zu sensibilisieren und sich ihr auf eine Weise zu nähern, auf die man es zuhause vielleicht nicht tue. „Arabisch ist da ein besonderer Fall“, sagt Houiyat. „Man redet zuhause eigentlich nur im Dialekt.“ Davon gebe es im Arabischen mehr als 20 verschiedene. Nicht umgangssprachlich, sondern grammatikalisch korrekt zu reden – „diese Kompetenz lernen sie nur in der Schule“, sagt er. Letztendlich sei das Ziel, einen „anderen Zugang zu der eigenen Sprache“ zu finden. Bei jüngeren Schülern im Grundschulalter gehe das zum Beispiel durch spielerische Übungen zum Alphabet, bei älteren Schülern etwa auch über Gedichte auf Arabisch.
„Je früher die Eltern ihre Kinder anmelden, desto besser“, sagt Houiyat. Deshalb werde schon in Kindergärten für den Herkunftssprachlichen Unterricht Werbung gemacht. Wenn möglich, werden die Kurse je nach Größe nach Altersstufe sortiert. Die Kurse sind ein freiwilliges Angebot. Die Note wird zwar auf dem Zeugnis vermerkt, beeinflusst den Schnitt der Schüler jedoch nicht. Wenn die gewünschte Sprache nicht an der eigenen Schule angeboten werde, gingen Schüler dafür oft an andere Schulen in der Stadt. In seiner größten Gruppe waren laut Houiyat einmal 28 Schüler.
Bei großen Gruppen auf das individuelle Sprachlevel der Schüler einzugehen, sei oft eine Herausforderung, gerade weil der gesamte Unterricht auf Arabisch abgehalten wird. Oft bringen sie der externen Lehrkraft zufolge zudem unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen mit. Während etwa einige Kinder erst vor Kurzem aus Syrien nach Deutschland gekommen sind und daher fließend Arabisch sprechen, sind andere in Deutschland geboren und haben weniger Arabisch-Kenntnisse. Er versuche dann, dass sie sich gegenseitig helfen.
„Das ist ein wichtiger Teil, um kulturelle Identität aufzubauen“, sagt Houiyat. So könnten sie die eigene Sprache nicht verlernen, sondern weiter erlernen.