„Rotbraune Schuhe und Rost am Gewehr gehen gar nicht“

Jakob Matheisen und Achim Tilmes erklären, worauf es im Schützenzug ankommt und wofür es Strafen gibt.

Foto: Andreas Woitschützke

Neuss. Warum die Schützen das traditionelle Radiese-Essen nach dem Schützenfest und nicht vorher zelebrieren und was der Zugfeldwebel mit all dem Strafengeld macht: Dazu äußern sich Jakob Matheisen, dienstältester Feldwebel im Neusser Regiment, und Grenadier-Ehrenmajor Achim Tilmes.

Seit 63 Jahren sind Sie Spieß im Grenadierzug „Immertreu“. Wie hält man so etwas durch?

Jakob Matheisen: Man muss eine Linie haben — im Dienst streng, bei Strafen konsequent. Denn Strafen sind nicht verhandelbar. Ansonsten auch mal ein Auge zudrücken.

Aber Schützen machen doch aus Spaß an der Freud mit.

Matheisen: Das sei ihnen auch gegönnt. Doch ich erinnere gern an den vormaligen Major der Neusser Schützenlust, Jochem Dammer. Mit seiner Aussage „Soviel Disziplin wie nötig und soviel Spaß wie möglich“ hat er einen Rahmen vorgegeben, der zwar Freiräume lässt, im Endeffekt aber auch Grenzen aufzeigt.

Wie muss man sich Dienst nach Vorschrift im Schützenzug vorstellen?

Matheisen: Grundvoraussetzung ist erst mal, den Zugbefehl zu lesen. Dann heißt es, zum Antreten und allen Umzügen pünktlich und korrekt angezogen zu sein. Ob weiße oder schwarze Hose — rotbraune Schuhe dazu gehen gar nicht. Auch nicht unterschiedliche Sockenfarben. An der Uniform darf kein Knopf fehlen, die Jacke muss zu schließen sein. Rost am Gewehr geht wie ungeputzte Ehrenzeichen und Dienstgrad-Abzeichen gar nicht. Fehlt Eichenlaub oder Blümchen am Gewehr, gibt es Strafe.

Und wenn dem Spieß etwas nicht auffällt?

Matheisen: Dann freut sich die gesamte Mannschaft. Wenn aber einer petzt, wird er mit bestraft.

Wie werden die Strafen festgehalten?

Matheisen: Früher hatte der Spieß einen dicken Bleistift, den er meist unter der Schulterklappe trug. Und ein dickes Strafenbuch. Beides wurde gern auch mal stibitzt und musste für viel Geld ausgelöst werden. Heute habe ich ein kleines Büchlein und eine ganz kleine Geldbörse. Aber jüngere Feldwebel sind längst davon abgekommen, notieren die Strafen durch Knipskarten, Gutscheinhefte und auf andere fantasievolle Weise.

Sie aber halten am Büchlein fest?

Matheisen: Aus Erfahrung der vielen Jahre kassiere ich die Strafen sofort.

Wohin fließen all die Gelder?

Matheisen: Es gibt die unterschiedlichsten Modelle. Züge, wo die Bestrafung nachrangig ist. Andere bestrafen recht originell: Wer die höchsten Strafen einkassiert hat, bekommt einen Orden als Zugsau. Bei uns fließen die Strafen in die Zugkasse. Meistens werden Strafen am Mittwoch nach dem Schützenfest bekannt gemacht. Da gibt es oft ein großes Ah und Oh. Beim Radiese-Essen hat sich alles wieder beruhigt.

Was hat es mit dem Radiese-Essen überhaupt auf sich?

Achim Tilmes: Schwarze und weiße Wurzeln sind zur Kirmeszeit reif. Früher wurde zum Fest geschlachtet, und die Radiese passten dazu. Das ist bis heute geblieben: Schwarzbrot mit Butter, Radiese und Leberwurst, da läuft dem Neusser das Wasser im Mund zusammen.

Und warum das alles erst nach dem Schützenfest?

Tilmes: Zusammen mit ein paar Glas Altbier haben Radiese durchschlagende Wirkung. Da würde manch’ weiße Hose Streifen bekommen.