Streit um Ausgabe von Jodtabletten

Der Rhein-Kreis und die Bürgermeister der angehörigen Kommunen sind sich uneins über eine vorbeugende Abgabe.

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Rhein-Kreis. Der Rhein-Kreis hat in Dormagen 67 000 Päckchen mit jeweils sechs Kaliumiodid-Tabletten gebunkert. Diese auch Jodtabletten genannten Pillen sollen Schwangere, Kinder und Jugendliche im Kreisgebiet vor den gesundheitlichen Folgen eines atomaren Störfalles in einem der umstrittenen belgischen „Bröckel-Reaktoren“ in Tihange (bei Lüttich) oder Doel (bei Antwerpen) schützen. Doch über die Frage, wann und wie dieses Medikament ausgegeben wird, ist zwischen dem Kreis und den Bürgermeistern der kreisangehörigen Kommunen nun ein heftiger Streit entbrannt.

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Die Sicht der Kreisverwaltung stellte Dezernent Ingolf Graul den Mitgliedern des Ausschusses für Rettungswesen, Feuer- und Katastrophenschutz vor. Demnach ist dem Kreis untersagt, die Pillen präventiv und damit vor einem eingetretenen Störfall abzugeben. „Eine andere Möglichkeit sieht die gegenwärtige nordrhein-westfälische Erlasslage nicht vor“, stellte Graul klar.

Genau das wird von den Bürgermeister hinterfragt. Sie forderten den Landrat auf, den Erlass des Innenministers eingehend zu prüfen. „Uns selbst liegt der ja nicht vor“, sagte der Neusser Bürgermeister Reiner Breuer. Selbst ein negatives Ergebnis würden die Verwaltungschefs aber nicht einfach hinnehmen. Für diesen Fall forderte die Bürgermeisterkonferenz Landrat Hans-Jürgen Petrauschke auf, auf den Minister einzuwirken, um — wie im deutsch-belgischen Grenzgebiet vorgesehen — eine Vorabausgabe zu erreichen. „Will man Eltern allen Ernstes zumuten, sich bei einer solchen Katastrophe erst irgendwo anstellen zu müssen?“, fragte Breuer.

ReinerBreuer, Neusser Bürgermeister

Aktuell liegen die Jodtabletten zentral in Dormagen. Verteilt werden sollen sie im Falle eines Atomunglücks durch einen festgelegten Personenkreis. Doch wie das genau ablaufen soll, ist auch der Kreisverwaltung noch unklar. Die Städte und Kommunen müssen nun Vorschläge für mögliche Ausgabestellen erarbeiten, hieß es im Ausschuss — was die Bürgermeister zurückweisen. „Der Landrat ist für den Katastrophenschutz zuständig“, sagt Breuer. „Ich lasse mir nicht die Tabletten auf den Tisch knallen und sagen: Verteil’ die mal“, fügte er hinzu.

Dass die Tabletten in Dormagen lagern, machte Sabine Kühl (SPD) im Rettungswesenausschuss zu schaffen. „Bei einem Reaktorunglück werden alle Straßen verstopft sein, weil die Menschen fliehen. Dann geht viel Zeit verloren, bis auch die Bevölkerung in Meerbusch versorgt wird“, sagte sie und schlug vor, die Tabletten dezentral in Schulen, Kirchen, Rathäusern und bei Hebammen zu deponieren. Auch Ingolf Graul sprach sich für eine dezentrale Bevorratung aus. „Das werden wir mit den Städten und Gemeinden noch besprechen.“

Vorschläge für mögliche Ausgabestellen wurden in der Bürgermeisterrunde schon genannt, konnten aber nicht überzeugen. Wahllokale? „Das sind keine festen Einrichtungen“, sagte Breuer. Schulen? „Was tun wir aber an Wochenenden und in den Ferien?“, fragte er. „Alles bleibt hinter der besten Lösung zurück — der präventiven Ausgabe“.

Dass nur Kinder, Jugendliche und Schwangere mit Tabletten versorgt werden, die die Aufnahme von verstrahltem Jod in die Schilddrüse blockieren sollen, hat mit Schutzzonen-Einteilungen durch die Strahlenschutzkommission zu tun. Demnach fällt der Kreis in Zone vier, weil er mehr als 100 Kilometer vom nächstgelegenen belgischen Kernkraftwerk entfernt liegt. In einer Resolution hatte der Kreistag schon 2016 die belgische Regierung zur Stilllegung der umstrittenen Atommeiler aufgefordert. Bislang ohne Erfolg.