Weissenberg kämpft um seinen Ruf
Dort, wo ein mutmaßlicher Terrorist wohnte, leben viele Kulturen nebeneinander her und viele Menschen unter der Armutsgrenze.
Nordstadt. Wenn es einen Ort gibt, der den Charakter von Weissenberg auf wenigen Quadratmetern zusammenfasst, dann ist es der „Mixmarkt“ an der Neusser Weyhe. Die Regale sind gefüllt mit Lebensmitteln aus verschiedenen Ländern. Meist Spezialitäten aus Osteuropa: Süßigkeiten, Wurstwaren und Konserven, bei denen man nur vermuten kann, was sich in ihnen verbirgt, reihen sich aneinander. Bei Bedarf gibt es auch eine mit Schnaps gefüllte Flasche in Form eines Maschinengewehrs. In diesem Supermarkt kaufen sie alle ein. Menschen aus Russland, Deutschland, der Türkei und vielen weiteren Ländern. Hinter der Kasse sitzt an diesem Tag Chef Viktor Renz. „70 Prozent unserer Kunden haben ausländische Wurzeln“, sagt er. Nach der Eröffnung vor rund vier Jahren sei es zunächst sehr schwer gewesen, überhaupt deutsche Kunden in den Markt zu locken. „Vielleich liegt es an dem falschen Bild, das viele Menschen von Russland haben“, sagt Renz.
Im „Mixmarkt“, der nur wenige Schritte von dem Hochhaus entfernt liegt, in dem ein SEK-Kommando am Samstag einen 21 Jahre alten Terrorverdächtigen festnahm, hat sich das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen, die Tür an Tür in Weissenberg leben, mittlerweile eingependelt. Wer sich in dem Stadtteil — und auch bis zur südlichen Furth — umhört, der spürt jedoch, dass es noch ein langer Weg ist bis zur sozialen Integration, weg von der Abschottung. „Die Nordstadt — und besonders Weissenberg — genießt keinen guten Ruf“, sagt eine Mitarbeiterin einer Apotheke. Dies habe nichts mit dem hohen Ausländeranteil zu tun, sondern mit der Tatsache, dass viele Menschen — auch Deutsche — unterhalb der Armutsgrenze leben.
„Immer wieder wird bei uns geklaut. Manchmal schauen wir einmal nicht hin und schon ist das Bonbon-Regal leer“, sagt die Apothekerin. „Manchmal fühlen wir uns hier fremd. Ich würde mir wünschen, dass die Politik mehr für die Integration tut.“ Manchmal ist die Sprachbarriere kaum zu überwinden. Dann behelfen sie und ihre Kolleginnen sich meist mit Händen und Füßen. Darüber hinaus haben die Apothekerinnen einlaminierte Blätter, auf denen unter anderem verschiedene Krankheitssymptome und Informationen zur Medikamenteneinnahme mit Bildern und arabischen Schriftzeichen abgedruckt wurden.
Um der angeblichen Spaltung entgegenzuwirken, wurden einige Projekte gestartet, die die Kulturen im Viertel zusammenführen sollen. Eins davon ist der Gemeinschaftsgarten Am Kotthauserweg. Dort treffen sich regelmäßig Menschen aus der Nachbarschaft, um gemeinsam Beete zu bepflanzen, zu reden und zu essen. Das Projekt des Neusser Bauvereins, das Anfang Februar wieder losgeht, wird so gut angenommen, dass die Anzahl der Beete verdoppelt werden soll. „Sinn und Zweck ist es, dass die Menschen rauskommen aus ihren Häusern. Sonst gibt es hier ja nicht so viel“, sagt Gundula Kerekes. Die Waldpädagogin und Naturgärtnerin koordiniert das Projekt und ist in dieser Sache Ansprechpartnerin für die Menschen Am Kotthauserweg.
So wie Kerekes denken viele im Ort. Viel zu bieten hat diese Gegend nicht: verrostete Fußballtore auf Wiesen voller Hundekot. Zäune einiger Privatgärten sind mit Stacheldraht versehen. Wer durch diese Straßen geht, fühlt sich nicht eingeladen. Böse Zungen würden behaupten, an manchen Stellen könnte man ein Schwarz-Weiß-Foto mit Farbfilm schießen. Mehr als freiwillige Angebote — unter anderem gibt es weitere Nachbarschaftstreffs und Projekte für Kinder — sind schwer zu realisieren. „Man kann die Menschen ja auch nicht zur Teilnahme zwingen“, sagt Heiko Mülleneisen, Pressesprecher des Bauvereins. Doch auf der südlichen Furth soll sich bald etwas bewegen, wie er mitteilt, so soll der überdachte Basketball- und Fußballplatz in der Nähe des Jobcenters um einen Streetworkout-Park erweitert werden.