Der Autor und Jurist Ronen Steinke über die Frage: Demokratie – wie stabil sind wir gegen eine Übernahme von rechts? „Tod mit einem Knall oder einem Wimmern“
DÜSSELDORF · . Seine Biografie über Fritz Bauer, den Staatsanwalt, der einst den großen Auschwitz-Prozess durchsetzte und maßgeblich dazu beitrug, die Gräueltaten des nationalsozialistischen Unrechtsstaates aufzudecken, machte Ronen Steinke einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
Der Journalist (Süddeutsche Zeitung) und Autor ist selbst Jurist, hat eine besondere Gabe, komplizierte Zusammenhänge pointiert und in ihrer gesellschaftlichen Relevanz darzustellen. Was er auch in seinem zusammen mit der Münsteraner Rechtsprofessorin Nora Markard geschriebenen Buch „Jura not alone“ (Infokasten) zeigt. Bei einem Podiumsgespräch in Düsseldorf im Rahmen der Reihe „Respekt und Mut“ ging es um ein Thema, das auch eines der Kapitel in dem Buch ist: Demokratie – wie stabil sind wir gegen eine Übernahme von rechts?
Hier malt Steinke ein eher düsteres Bild, will seine Warnungen aber doch als Mahnungen verstanden wissen, Schlimmeres auch mit den Mitteln des Rechts zu verändern. Steinke zitiert die beiden US-amerikanischen Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt und deren Buch „Wie Demokratien sterben“. Nämlich „mit einem Knall oder mit einem Wimmern“. Der Knall, das oft gewaltsame Ende einer Demokratie durch einen Putsch oder eine Revolution sei spektakulär. Das Dahinsiechen sei alltäglicher, und viele Bürger wachten erst auf, wenn es zu spät ist. Steinke verweist auf die Nachbarländer Polen und Ungarn, in denen die demokratischen Spielregeln genutzt wurden, um Schritt für Schritt Macht zu erweitern und zu festigen. Es sei ratsam, sich die Verletzlichkeit des demokratischen Systems auch in Deutschland vor Augen zu führen. „Wir müssen da wirklich wach sein.“
Was eine Beteiligung
der AfD bedeutet
Die Wahl in Thüringen, wo die AfD stärkste Partei geworden ist, werde selbst dann spürbare Auswirkungen haben, wenn sich die anderen Parteien zusammenschließen, um die AfD von Regierungsverantwortung fernzuhalten. So könne die AfD durchsetzen, den Landtagspräsidenten zu stellen. Dieser sei weit mehr als nur ein „Grüßaugust“ oder „Zeremonienmeister“. Theoretisch wäre es ihm oder ihr möglich, einzelne Fraktionen und Abgeordnete zu benachteiligen. Oder den Wissenschaftlichen Dienst des Landtags parteiisch einzusetzen.
Schon jetzt sei klar, dass die AfD im Thüringer Landtag eine Sperrminorität hat. Bei Nominierungen von Landesverfassungsrichtern rede sie nun mit: „Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der einer der Übelsten in der AfD ist, sitzt überall mit am Tisch, wenn über solche Personalien entschieden wird.“ Und sollte die AfD sogar einen Innenminister-Posten bekommen, so habe dies Auswirkungen auf die Aufstellung des Verfassungsschutzes. Der Innenminister könne einen Verfassungsschutzpräsidenten auswechseln. „Wenn Höcke einen entsprechenden Zugriff bekäme, würde er natürlich die AfD nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Oder die Grünen würden dann beobachtet.“ Gäbe es einen Justizminister der AfD, so könne dies wegen dessen Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften auch Einfluss auf die Strafverfolgung haben. Zum Beispiel, wie intensiv man gegen rechtsextreme Täter oder gegen Hasskriminalität vorgeht. Auch in Rundfunkräten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks könne die AfD mitreden und so indirekten Einfluss auf die Programmgestaltung nehmen.
Steinke betont die Folgen, die die äußerliche Veränderung der rechten Szene habe: „Die neue Rechte, mit der wir es heute zu tun haben, unterscheidet sich stark von der alten Rechten, die in Springerstiefeln und Bierplauze auftrat und der es egal war, ob sie in der bürgerlichen Mitte ankam.“ Die neue Rechte hingegen habe intellektuelle Vordenker, wolle sich mit einer überlegten Wortwahl wählbar machen. „Die reden jetzt sogar Latein, sagen Remigration und meinen doch nur ,Ausländer raus’. Und die tragen Krawatten, mit oder ohne Hunde drauf“, sagt Steinke unter Anspielung auf AfD-Urgestein Alexander Gauland. Die Gesellschaft müsse heutzutage mehr Energie aufwenden, sich argumentativ zu schulen, um im politischen Diskurs dagegenhalten zu können.
Moderatorin Esma Cakir-Ceylan kommt auch auf den Anschlag von Solingen und dessen Folgen zu sprechen. Die Juristin fragt: „Wir wollen und brauchen Fachkräfte, und doch wird in der Diskussion nun über die Verschärfung des Migrationsrechts diskutiert. Themen, die doch die Hauptmotivation für die AfD-Wähler in Thüringen und Sachen gewesen sind. Es wird nur noch über die Hauptthemen der AfD diskutiert. Wie kommentieren Sie das?“
Reaktionen auf Tat
von Solingen „irrsinnig“
Steinke nennt die Reaktion auf die Tat von Solingen „irrsinnig“. Die meisten Beispiele radikalisierter Täter zeigten doch, dass der Beginn der Radikalisierung eine ökonomische Perspektivlosigkeit und Frustration seien. Eine der ersten Reaktionen der Politik sei jedoch gewesen, dass man die Sachleistungen für Geflüchtete einschränken wolle. „Wenn man jetzt nur noch Bett, Brot und Seife bekommen soll und auch das nach zwei Wochen nicht mehr – was für eine Idee!“ Wer so die Pull-Faktoren, also die Anreize für Zuwanderung senken will, nehme in Kauf, dass hierzulande Elend auf deutschen Straßen entsteht. „Dann werden diese betroffenen Menschen doch ausrasten und austicken“, sagt Ronen Steinke. Nein, es müsse besser an Integration gearbeitet werden, es gebe doch unzählige unbesetzte Stellen. Härte und Abschottung seien kontraproduktiv.
Auf die Frage aus dem Publikum, ob der Zug für ein Parteiverbot der AfD nun schon angesichts der großen Zahl der AfD-Wähler abgefahren sei, sagt Ronen Steinke: Klar sei die große Zahl ein Problem, „weil dann den Wählern ihre Stimme genommen wird“. Die Idee eines Parteiverbots sei aber, dass verhindert werden soll, „dass Brandstifter in die Parlamente kommen und den demokratischen Diskurs kaputtmachen. Das darf man nicht erlauben, auch wenn sie 30 Prozent hinter sich haben.“ Und er fügt hinzu: „Vielleicht ist es jetzt sogar dringender denn je, eine solche Gefahr abzuwenden.“