Bildband zu 70 Jahre Polizeigeschichte Scheitern und Sternstunden der Polizei
Köln · Das Buch „Polizei im Wandel“ beleuchtet 70 Jahre Geschichte in NRW – und spiegelt auch die Entwicklung der Gesellschaft wider.
Eines hat sich nicht geändert: Zur Polizei in NRW gehört eine Polizeistatistik. Nur ihr Inhalt hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges maßgeblich geändert. So wies der Verkehrsbericht für 1948 insgesamt 26 000 Unfälle aus (2018 waren es mehr als 660 000), sie forderten aber damals 1625 Tote, 2018 dagegen 490. Zudem war damals, vor 70 Jahren, als Folge des Krieges die Hälfte der nordrhein-westfälischen Polizisten unterernährt – auch das dürfte sich geändert haben. Hoffentlich. Derlei Zahlenwerk, vor allem aber Geschichten und Bilder aus sieben Jahrzehnten bietet das Buch „Polizei im Wandel“, das jetzt im Kölner Greven-Verlag erschienen ist.
Es ist das erste Werk, das sich umfassend mit der Nachkriegsgeschichte der NRW-Polizei beschäftigt. Und es hat schon einen ersten prominenten Fan: Innenminister Herbert Reul (CDU) kam am Donnerstag zur Buchpräsentation in Köln. Das Werk mit seinen vielen bislang unveröffentlichten Bildern aus Privatbeständen wirke auf ihn an vielen Stellen wie ein Familienalbum, das der Staatsmacht ein Gesicht gibt und zeigt: „Polizisten waren immer schon Menschen wie du und ich – mit Stärken und Schwächen.“ Vor allem aber sei Polizeigeschichte in Wahrheit auch ein gutes Stück Gesellschaftsgeschichte.
Späte 1940er: Die Briten wollten eine entnazifizierte, kommunale Polizei nach ihrem Vorbild. Das Misstrauen äußerte sich etwa darin, dass Polizisten zunächst nur mit Holzknüppeln unterwegs waren. Auf die britsche Besatzungszeit geht auch die Konzentration der Polizei auf Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zurück – zuvor war sie unter anderem auch für Bau- und Gewerbeaufsicht zuständig gewesen. Und: Die Uniformen waren schon seinerzeit blau. Problem des Neubeginns: Unter die jungen Beamten mischten sich rasch wieder „alte Kameraden“ aus der Zeit des Dritten Reichs.
1950er-Jahre: Nur zwei Jahre nach Ende der Besatzungszeit war es mit der kommunalen Polizei vorbei, wurde wieder eine flächendeckende staatliche Organisation geschaffen, die dem Innenminister unterstand. Parallel wurde die Uniform grün, Dienstgrade wurden etwa von „Inspektor“ in „Kommissar“ umbenannt. Mit der Bevölkerung in NRW wuchs seine Polizei, doch wie auch bei den Menschen blieb das Demokratieverständnis formaler Natur. Der „militärische Habitus“, so die Buchautoren, überdauerte. Überzogen ging man gegen Jugend-Krawalle vor, bei Konflikten um die verbotene „Friedenskarawane“ 1952 wurde in Essen der Kommunist Philipp Müller (21) als erster Demonstrant in der BRD durch Polizeikugeln getötet.
Ansonsten bestimmte die Motorisierung der Gesellschaft die Polizeiarbeit. Der VW-Käfer als Dienstfahrzeug wurde zu langsam, die Autobahnpolizei wurde mit bis zu 75 PS starken Porsche 356 Cabriolets ausgestattet.
1960er-Jahre: Der gesellschaftliche Wandel des Jahrzehnts gilt auch für die NRW-Polizei als „Scharnierzeit“ zwischen den Traditionen aus Weimarer Republik und NS-Zeit und der modernen Polizei ab den 70ern. Die Rolle von Polizisten im Dritten Reich wurde erstmals öffentlich thematisiert, es gab Prozesse wegen Gewaltverbrechen wie 1967 den Białystok-Prozess in Wuppertal.
1970er-Jahre: Der Reformprozess in der NRW-Polizei hin zu Bürgernähe und Demokratie ging voran. Junge Beamte forcierten neue deeskalative Einsatzkonzepte etwa für Versammlungen. Mit der 1976 gegründeten Fachhochschule für öffentliche Verwaltung begann eine Akademisierung der Polizei. Wie die gesamte Jugend testeten auch junge Polizisten Grenzen aus, so dass Haar- und Bartlänge per Erlass geregelt wurden. Herausgefordert wurden die Reformbestrebungen vom „Beharrungswillen“ innerhalb der Polizei, stärker aber durch den RAF-Terror und die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München 1972 – die Polizei, so die Autoren, hatte dem mit herkömmlichen Methoden wenig entgegenzusetzen.
1980er-Jahre: Aufruhr in der Organisation: 1982 wurden erstmals Frauen bei der Schutzpolizei eingestellt. Die vielen Demos der Friedens- und Umweltbewegung, Hausbesetzungen und zunehmend Hooligans machten den Beamten Arbeit. Herausragender Polizeifall des Jahrzehnts und Anlass für weitere Reformen war das Gladbecker Geiseldrama 1988.
1990er-Jahre: Steigende Migration und das Zusammenwachsen Europas veränderten auch die Polizei. 1993 wurden die ersten zehn Beamten ohne deutsche Staatsbürgerschaft eingestellt. Auch wurden NRW-Beamte zunehmend im Ausland eingesetzt, etwa in Georgien, im Kosovo oder Sudan. Der Einzelplatz-Computer beendete das Klappern von Schreibmaschinen und läutete die Digitalisierung der Polizei ein. Rockerkriminalität wurde zunehmend zum Problem. Zudem gab es herausragende rechtsextremistische Taten wie den Brandanschlag von Solingen 1993, mit dem Rohwedder-Mord aber auch einen prominenten Fall von Linksterrorismus, bevor die RAF 1998 ihre Auflösung erklärte.
Seit 2000: Mit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 wurde eine der großen Herausforderungen des neuen Jahrtausends offenbar: islamistischer Terror. Gleichzeitig gab es die NSU-Morde, den Bombenanschlag am Wehrhahn, ein Erstarken des Rechtspopulismus nach 2015. Alte Probleme und neue wie Cybercrime.
Was sich durch die Jahrzehnte der Polizeigeschichte zieht, erklärt Co-Autorin Sabine Mecking, Geschichtsprofessorin an der Uni Marburg, ist das ständige Austarieren von Sicherheit und Freiheit. Mit unterschiedlicher Gewichtung. Ihr Partner Frank Kawelovski, langjähriger Kriminalhauptkommissar in Essen, ist sicher: „Wir sind eine viel zivilere Polizei geworden.“ Was die Zukunft bringt? Das werden andere Bücher dann zeigen müssen. Innenminister Reul zumindest glaubt: „Polizei verändert sich heute viel schneller als früher. Weil auch die Gesellschaft sich schneller verändert.“ Wichtig sei für ihn die Erkenntnis, dass die Polizei bisher aus Fehlern – die es auch in Zukunft zweifelsohne geben werde – immer gelernt habe.