Eifel-Gemeinde mit Bürger-Windpark Das Vorbild Simmerath

SIMMERATH · Bundeskanzler Olaf Scholz und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst besuchen die Eifel-Gemeinde, die mit ihrem Bürger-Windpark zu Geld und Akzeptanz kommt. Ein Ortstermin.

Kanzler Olaf Scholz (SPD, M.) und Hendrik Wüst (CDU, 7.v.r), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, unterhalten sich beim Besuch des Bürgerwindparks mit Bürgern und Betreibern.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Bernd Goffart sieht zufrieden aus. Wie ein Gastgeber, der seinen Gästen schnell das gelungene Menü servieren möchte. Der CDU-Bürgermeister mit dem markanten Zopf steht an diesem Morgen am Rand des Waldgebiets, in dem der Reichtum seiner Stadt Simmerath steht. Goffart wartet auf den Bundeskanzler und den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, und weil Olaf Scholz (SPD) und Hendrik Wüst (CDU) gleich mit Goffart durch den Fichtenwald gehen, in dem der Bürger-Windpark steht, der Simmerath Energie und viel Geld beschert, sind jetzt schon allerhand Polizisten vor Ort.

Goffart erzählt schon mal die Geschichte von Simmerath, die die Geschichte von Deutschland werden soll: Von dieser 15 800-Einwohner-Gemeinde, die früh angefangen hat, auf der reichhaltigen Freifläche Windräder zu bauen. Und die dann weitergemacht hat, im kommuneneigenen Nutzwald weitere Räder aufzustellen. Schnell, voller Energie, im wahrsten Sinne des Wortes, auch widerstandsfähig. Eben so, wie es die schlaueren Menschen in der Republik für die beste Lösung halten: Akzeptanz schaffen durch Bürgerbeteiligung. 22 Windräder stehen in Simmerath.

Goffart nimmt jährlich zwei Millionen Euro ein, weil die Gemeindeflächen im Bürgerwald an den Windparkbetreiber verpachtet sind. Bald werden es zwei weitere Millionen jährlich sein, weil zugebaut wird, und so schafft der Ort, was andere nicht können: Grund- und Gewerbesteuern sind im Vergleich zu den umliegenden Gemeinden sehr niedrig, die Einnahmen gehen zum guten Teil zurück an die Bürger, weil durch den aufgemöbelten Haushalt die Infrastruktur der Gemeinde immer besser wird: Vier Kunstrasenplätze gibt es, der Ganztag funktioniert mit eigenen zusätzlichen Schulräumen, es sind Zeichen des Wohlstandes in einer eigentlich „strukturschwachen Region“, wie Goffart sagt. Der CDU-Bürgermeister hat die letzte Kommunalwahl 2020 mit 66,95 Prozent gewonnen. Jetzt arbeitet er mit einer absoluten Mehrheit. Natürlich erleichtert das vieles, findet der Diplom-Verwaltungsfachwirt, der sich als „Möglichmacher“ versteht.

Möglichmacher haben es schwer, wenn sie an den imposanten Vorschriften zu scheitern drohen, die gerne als überflüssige Bürokratie beschimpft werden. Goffart sagt, dass die anderen Gemeinden, die auch Platz für Windräder in diesem Teil der beschaulichen Eifel hätten, aufgehört hätten mit ihrer Windpark-Planung. Weil sie die vielen Hindernisse mit dem knappen Personal in ihren kleinen Rathäusern nicht überwinden konnten. Simmerath hat durchgehalten, obwohl zuletzt der geologische Dienst auch noch seine Erdbebenmessstationen in Gefahr sah. Wieder so ein Bedenkenträger. „Was wollen Sie dem Kanzler mitgeben“, fragt einer Goffart. Er sagt: „Es kann nicht sein, dass wir für Genehmigungen von Windparks, die am Ende sowieso genehmigt werden, so viele Jahre brauchen. Das muss viel schneller gehen. Lassen Sie die, die machen wollen, machen.“

Windpark-Betreiber Frank Brösse von der Stawag Energie, einer Tochter der Stadtwerke Aachen, baut seit 20 Jahren Windparks. So schnell wie in Simmerath ging es nie, sagt Brösse. Dreieinhalb Jahre, dann war alles fertig. Andere Projekte von Brösse sind elf Jahre alt – und noch nicht gebaut. „Aufgeben darf man nie“, sagt er. „Manchmal wird auch ein Projekt wiederbelebt, das schon tot schien.“ Brösse weiß, dass sein Unternehmen vor goldenen Zeiten steht. Daran lassen Scholz und Wüst keinen Zweifel. Als die beiden Spitzenpolitiker auftauchen, ist die Aufregung groß und die Botschaft eindeutig: Mehr Windräder müssen her. Und das schnell.

Klar ist: Politische Schaukämpfe des Kanzlers mit einem möglichen Herausforderer zur Bundestagswahl 2025 interessieren  hier gerade niemanden. Deutschland braucht Energie. Und wenn die nicht fließt, brauchen sich weder Scholz noch Wüst Gedanken über künftige Kandidaturen zu machen. In der Gesellschaft brodelt es. Auch deshalb ist Bürgermeister Goffarts Plädoyer so flammend ausgefallen.

Die Vorgaben von Scholz sind die Ziele von Wüst: von allem mehr, von allem schnell. Wüst sagt, dass die Flächenziele, die der Bund setzt, in NRW schon 2025 statt 2032 erreicht werden. Der Landesentwicklungsplan wurde in NRW geändert. Viel mehr Fläche für Windenergie und Photovoltaik. Und was im Behördendschungel nicht gelingt, weil die Planungsbehörden unterschiedlich schnell arbeiten und unterschiedlich viele Fachkräfte beschäftigen können, das müssen mutige Menschen vor Ort mit Geschicklichkeit aushebeln. So ungefähr formuliert es Olaf Scholz. Wie in Simmerath eben.

Hinter seine Ziele kann der Kanzler nicht mehr zurück: 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs sollen bis 2030 aus erneuerbaren Quellen stammen. Scholz betet diese Zahlen atemlos herunter und verteilt den einen oder anderen Denkzettel, wenn er wieder über den in alten Legislaturen verpassten Leitungsbau referiert, der gewonnene Energie durch Deutschland schickt. Besser: schicken sollte. Nur deshalb würden teils absurde Subventionen nötig. „Wenn wir die Leitungen schon hätten, wäre der Strompreis schon jetzt günstiger“, sagt Scholz. Die Geschichte der Windräder in Deutschland ist auch eine Geschichte der verpassten Chancen.

Doch das soll enden. „Im ersten Halbjahr wurden fast 400 Windenergieanlagen an Land und auf See installiert. Nordrhein-Westfalen ist dabei vorne mit dabei und liegt bei den erteilten Genehmigungen für neue Anlagen an der Spitze“, sagt der Kanzler. „Hier im Bürger-Windpark Simmerath-Lammersdorf sieht man, dass die Transformation vor Ort beginnt und gelingt – in den Kommunen und auch im Wald fernab der Ballungszentren.“

Tatsächlich war ein Wald mit Windrädern lange nicht denkbar. Aber so viel Rücksicht ist aus der Mode gekommen. Um die Forderungen des Bundes zu erfüllen, wird nun auch auf weniger schützenswerte Waldgebiete zurückgegriffen. Man habe Nadelwälder und Kalamitätsflächen für Windenergie geöffnet, sagt Wüst, zugleich Laub- und Mischwälder für den Zubau ausgeschlossen, sagt er. Dann ziehen die Politiker wieder davon, Goffart schenkt Honig aus der Eifel. Den Strom gibt’s obendrauf.