Entlassen, enttäuscht und am Ende auch ein Stück weit befreit
Avery Dennison: Zum 1. November hat der Betrieb wie angekündigt 169 Entlassungen ausgesprochen. Drei Betroffene berichten über ihre Erfahrungen seitdem.
Sprockhövel. Es ist eine der größten Entlassungswellen, die Sprockhövel zuletzt erlebt hat. 169 von 300Mitarbeitern haben von Etikettenspezialist Avery Dennison in diesem Jahr wie berichtet die Kündigung erhalten (siehe Kasten). Einige wickeln bis März noch Restaufträge ab, die meisten sind seit 1. November in eine Transfergesellschaft eingetreten und bereits abgefunden worden. Drei Betroffene beschreiben in der WZ, wie sie die Trennung erlebt haben und sich mit der neuen Situation zurecht finden.
"Eigentlich wollte ich gar nicht mehr darüber sprechen, es ist mir alles sehr nahe gegangen", sagt Anette Kloß. 29 Jahre lang war die gelernte Produktgestalterin bei Rinke und später bei Avery Dennison beschäftigt. Seit 1994 arbeitete sie in der Abteilung Computer-Audit-Design (CAD), in der die Programme zur Einrichtung der Webmaschinen geschrieben wurden.
Jetzt macht sie von der Transfergesellschaft angebotene Word- und Exelkurse, versucht Abstand zu gewinnen. Der finanzielle Druck ist dank Abfindung und Kurzarbeitergeld - sie darf theoretisch für ein Jahr in der Transfergesellschaft bleiben - nicht das Entscheidende. "Ich muss erst wieder lernen zu lernen", sagt sie und trägt sich mit Gedanken, sich selbstständig zu machen.
Insbesondere das letzte Jahr habe sie zermürbt. Vor zwölf Monaten war sie schon einmal für sieben Wochen krank geschrieben, die nervliche Anspannung nach der Zusammenlegung mit Paxar war enorm", sagt sie. Alles sei für Mitarbeiter wie für die Kunden komplizierter, der Arbeitsaufwand größer geworden. "Nachher haben wir mit 90 Leuten noch nicht einmal die Produktivität geschafft, wie vorher mit 60", sagt sie. Das sei ganz anderes gelaufen als bei der Übernahme durch Avery Dennison im Jahr 2004. "Da war ich auch anfangs skeptisch, aber die haben uns auch geholfen, einige Sachen zu vereinfachen."
"Ich habe Avery sogar geliebt und wäre nie auf den Gedanken gekommen wegzugehen", sagt Martina Schneider (41). Sie begann vor sechs Jahren an der Kleinbeckstraße und war Teamleiterin in der Abteilung Global Produkt Development, in der nach Kundenwünschen Etiketten entwickelt und dann weltweit verbreitet werden.
Auch sie berichtet, dass nach dem Zusammenschluss mit Paxar alles komplizierter wurde, die Integration nicht funktionierte, auch wenn viele der neuen Kollegen nett und kompetent seien. Problem sei das Management gewesen, das fast nur von Paxar kam. "Ich wollte mich nicht mehr ständig bei meinen Kunden dafür entschuldigen müssen, dass etwas nicht läuft", begründet sie, warum sie sich am Ende freiwillig für eine Trennung meldete. Beispiel: Nachdem die Produktion ins Ausland verlagert wurde, hätten die Sprockhöveler Kundenbetreuer nicht einmal Referenzmuster erhalten.
"Ich wäre allerdings nicht freiwillig gegangen, wenn ich nicht bereits etwas Neues in Aussicht hätte", räumt Martina Schneider ein. In dieser Hinsicht ist sie eher eine Ausnahme unter den 169 Betroffenen, das ist ihr klar. So sind ihre Gedanken bei vielen Ex-Kollegen: "Die letzten zwei Tage bei Avery waren das Schrecklichste, was ich bisher erlebt habe", sagt sie. Jeder zweite stand ihr mit Tränen in den Augen gegenüber, sagte ,ich bin entlassen worden’. "Da weiß man irgendwann auch nicht mehr, was man sagen soll, ein Trost ist das alles nicht."
So empfand nicht nur sie den Abschied am Ende fast als Befreiung. "So gut ging es mir schon lange nicht mehr", sagt eine ehemalige Weberin, die nicht genannt werden will. "Seit wir von Avery übernommen wurden, haben wir unter Druck gearbeitet, es gab ständig Kündigungswellen", berichtet sie. Zuletzt sei sie mit zwei Kolleginnen an eine Maschine gesetzt worden, an der sonst niemand arbeiten wollte.
Nun belegt auch sie in der Transfergesellschaft EDV-Kurse und möchte sich möglichst beruflich neu orientieren, gerne im sozialen Bereich. Bis Juli ist sie über die Transfergesellschaft und Kurzarbeitergeld noch abgesichert. Jobangebote als Weberin habe sie mehrere erhalten, aber bisher abgelehnt. "Alle Lohnangebote lagen deutlich unter meinem bisherigen." Die Chance, da wieder heranzukommen, schätzt sie angesichts des Niedergangs in der Textilindustrie als sehr gering ein.