„Ihre Kinder werden keine Versuchskaninchen sein“
Gemeinschaftsschule: Auf einem Info-Abend sollten Fragen geklärt werden. Die Eltern bleiben verunsichert.
Niedersprockhövel. Wenn Rainer Michaelis sich jetzt ganz weit weg wünschen würde, man könnte es ihm nicht einmal verübeln. Für einen Augenblick verzieht der Bedienstete des NRW-Bildungsministeriums das Gesicht, dann hat er sich wieder unter Kontrolle - vorne auf der Bühne in der Glückauf-Halle und lächelt tapfer die etwa 100 Besucher der Informationsveranstaltung an. "Ihre Kinder werden keine Versuchskaninchen sein", versichert Michaelis.
Wie er da oben so steht und artig die kritischen Fragen besorgter Eltern beantwortet, sieht es so aus, als stünde ein Schuljunge vor dem Direktor. Und so ähnlich ist es auch: Sprockhövels Eltern haben gerufen, und der Leiter der Koordinationsstelle Gemeinschaftsschule ist aus Düsseldorf gekommen. Es geht an diesem Dienstagabend um die rot-grüne Schulpolitik, genauer: um den Modellversuch Gemeinschaftsschule. Dass die Hauptschule eine Straße weiter zu solch einer umgewandelt werden soll, hat sich unter den Sprockhövelern herumgesprochen; Details kennen sie aber noch nicht.
Das versucht Rainer Michaelis nun mit Schaubildern einer Präsentation zu ändern. An seiner Seite: Bürgermeister Klaus Walterscheid (SPD), Evelyn Müller, Leiterin des Fachbereichs Schule und Christine Albrecht, Leiterin der Hauptschule. Das Sprockhöveler Modell sieht vor, dass die Gemeinschaftsschule eine Schule sein soll, auf der die Schüler - zumindest in der fünften und sechsten Klasse - nach schulpolitischem Vorbild Skandinaviens "länger gemeinsam lernen" und unterrichtet werden, unabhängig davon, ob sie später einen Haupt- oder Realschulabschluss ablegen oder das Abitur machen. Ab der siebten Stufe würden sie aber dann entweder in den Real- und Hauptschul- den oder gymnasialen Zweig innerhalb der Schule aufgeteilt. Während der Schulzeit bis zur zehnten Klasse würde jedem Schüler bei guter oder schlechter Leistung ein Wechsel zwischen beiden Bereichen ermöglicht. Weil die erste Stufe mit 69 Schülern angedacht ist, wäre sie zu klein wäre, um eine Oberstufe zu bilden; dafür hätten die Schüler nach der zehnten Klasse die Garantie, diese dann an einer Kooperationsschule zu besuchen. Gespräche laufen derzeit mit der Wilhelm-Kraft-Gesamtschule (Haßlinghausen) und einem Gymnasium in Hattingen.
Dennoch löste eine derzeit laufende Befragung unter Eltern der 500 Dritt- und Viertklässler, die im kommenden Schuljahr auf eine weiterführende Schule wechseln, Verunsicherung aus: "Was geschieht mit meinem Kind, wenn der Versuch scheitert?", fragt eine junge Mutter das Podium. Nächste Frage eines Vaters: "Warum verlegen Sie die Selektion in die Pubertät?" oder: "Was hat mein Sohn für einen Abschluss, wenn wir in ein anderes Bundesland ziehen?" Und es geht weiter: "Werden wir Sprockhöveler Eltern jetzt gezwungen, unsere Tochter an der Schule anzumelden?" Nein.
Als es vorbei ist, verlässt Michaelis erleichtert die Bühne. So etwas, das kann man ihm ansehen, hat er schon oft erlebt, wenn er für eine neue Schulpolitik warb - wer es wagt die Gymnasien anzutasten, verbrennt sich wohl die Finger.