Sprockhövel: Superfrau oder Emanze – die spät entdeckte Stadt-Berühmtheit
Heute vor 125 Jahren starb die bedeutende Frauenrechtlerin in den USA. Ihr Geburtshaus steht in Hiddinghausen. In ihrer Heimatstadt war sie lange Zeit völlig vergessen, kam erst nach und nach zu Ehren.
Sprockhövel/Milwaukee. Als Mathilde Franziska Anneke am 25. November 1884 - heute vor 125 Jahren - in Milwaukee/USA starb, da war das Echo in der fortschrittlichen deutsch- und englischsprachigen Presse groß. "Eine der bedeutendsten deutschen und amerikanischen Frauen ist in ihr geschieden", war lesen. Als Vorkämpferin der Frauenbewegung wurde sie tituliert, als "gebildet, begabt und edel" gefeiert, auch wenn die Welt ihre "unpraktischen Grundsätze bezüglich der Gleichstellung der Frauen" niemals anerkennen werde. In der Tat geschah das zum Teil erst viele Jahrzehnte später.
Die Anerkennung erscheint mehr als gerechtfertig betrachtet man den bewegten Lebenslauf dieser Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Nach einer frühen Scheidung - damals eine Ungeheuerlichkeit - kämpfte sich die 1817 als Mathilde Franziska Gieseler auf dem elterlichen Gut Oberleveringhausen in Hiddinghausen geborene junge Frau als alleinerziehende Mutter durchs Leben. Sie verlegte sich aufs Schreiben, gab mit ihrem zweiten Mann Fritz Anneke die Neue Kölnische Zeitung heraus, in der sie revolutionäre Thesen von Gleichberechtigung und Demokratie vertrat. Sie galt als eine der Aktivistinnen der Deutschen Revolution von 1848, zählte Zeitgenossen wie Hoffmann von Fallersleben, Annette von Droste-Hülshoff oder Ferdinand Lassalle zu ihrem Bekanntenkreis. Als Aufständische von der Polizei verfolgt, floh Anneke 1849 in die USA. Dort hielt sie als Journalistin die Familie über Wasser und trat gleichzeitig für das Frauenwahlrecht und die Abschaffung der Sklaverei ein, 1865 gründete sie eine später sehr renommierte Mädchenschule.
In ihrer Heimatstadt Sprockhövel blieb Mathilde Franziska Anneke dagegen lange vergessen. "Vielleicht liegt es daran, dass sie hier nur drei Jahre gelebt hat", mutmaßt Stadtarchivarin Karin Hockamp. Andererseits sei mit emanzipierten Frauen wie Anneke auch lange kein Staat zu machen gewesen, sei neben "Superfrau" auch genauso vom "Flintenweib" die Rede gewesen, was Anneke allein schon durch ihren unermüdlichen Einsatz für ihre Familie Lügen strafte.
In Sprockhövel erinnerte man sich erst wieder an die wohl bedeutendste Tochter der Stadt, als Anfang der 1980er Jahre die Anneke-Biografin Maria Wagner anfragte, ob es im Stadtarchiv Unterlagen zur Herkunft Annekes gebe. "Sie stieß hier auf ein Tal der Ahnungslosen", sagt Stadtarchivarin Karin Hockamp.
Ihr Vorgänger machte dann schnell die in Schwelm ausgestellte Taufurkunde ausfindig, die heute noch zu den wenigen Erinnerungen an Anneke im Stadtarchiv gehört und fand mehr über die Familie Gieseler heraus, die damals Eigentümer des Guts Oberleveringhausen war. Bis 1994 dauerte es allerdings, bis an Annekes Geburtshaus an der Wittener Straße 131 eine Gedenktafel aufgehängt wurde. Das heute denkmalgeschütze Haus hatte Annekes Vater bereits in den 1830er Jahren verkaufen müssen, nachdem der gut situierte Beamte des Amts Blankenstein, wohin die Familie 1820 gezogen war, durch Spekulationen in Not geriet.
1988 widmete die Deutsche Bundespost Mathilde Franziska Anneke eine Briefmarke. Die Reinzeichnung dafür, die der Wuppertaler Gerd Aretz nach einem inzwischen verschollenen Gemälde von Anneke anfertigte, gehört zu den wenigen Zeugnissen, die es im Stadtarchiv von Anneke gibt. 1999 wurde außerdem eine Straße im Neubaugebiet Hobeuken nach ihr benannt.
In den vergangenen Tagen und Wochen hat sich Hockamp dennoch sehr mit dem Thema Anneke beschäftigt. Grund ist die Kulturhauptstadt Ruhr 2010. In diesem Rahmen erstellt ein Essener Fotograf gerade einen Bildband über bedeutende Persönlichkeit aus dem Ruhrgebiet und fragte bei Hockamp nach Informationen zu Anneke an. Außerdem soll die Sprockhöveler Archivarin auch eine Ausstellung über Anneke im westfälischen Industriemuseum Zeche Nachtigall in Witten mitgestalten.