Serie Wohnungslosenhilfe Plötzlich hieß es: „Pack deine Koffer und geh!“
Haan/Erkrath/Mettmann · Als ihn seine Frau vor die Türe setzt, fährt Stefan Berger einfach los. Fünf Jahre lang schläft er im Auto oder bei Freunden.
Vor fünf Jahren hat er sich ins Auto gesetzt. Ohne zu wissen, wie es nun weitergehen soll im Leben. Seine Frau hatte ihn damals aus dem Haus geworfen, nach dem Motto: „Nimm deine Koffer und geh!“ Stefan Berger (Name von der Redaktion geändert) packt seinen Koffer, und er geht.
Er fährt einfach los, kommt bei Freunden unter. Vielleicht brauchen seine Frau und er mal zwei Wochen Pause voneinander, denkt er da noch. Schon länger steckten sie fest in der Ehe-Krise und ja, irgendwann habe er aus Verzweiflung auch Türen zugeknallt. Vielleicht hilft es ja, wenn jeder mal für sich ist.
Aus Wochen werden Monate, zurück nach Hause fährt er nicht. Er trifft einen katholischen Pfarrer, der ihn bei sich wohnen lässt. Immer wieder schläft er im Auto. Er jobbt, um den Unterhalt für seine Kinder bezahlen zu können. Er hat drei Jungs, die bei der Mutter leben. Irgendwann steht Stefan Berger mit seinem Auto und ohne Geld in einer Werkstatt und sagt den Leuten dort: „Repariert es, bitte! Es ist mein Zuhause“.
Er schlägt sich durch, mit Auftragsarbeiten, ohne Sozialhilfe. Von unterwegs schreibt er seiner Frau, er kämpft um die Ehe. „Ich habe geliebt und Verantwortung übernommen, da geht man den Weg bis zum Ende“, so sieht er es. Seine Frau bittet ihn, eine Therapie zu machen, an sich zu arbeiten. Dann könne er, vielleicht, zurückkommen. „Ich habe versucht zu hören, was meine Frau von mir will“, sagt Stefan Berger. Sie habe Bedingungen aufgestellt, die habe er „abgearbeitet“. Bis ihm klar wurde, es ist nie genug. Der eine spielt Fußball, der andere Volleyball: Keiner habe dem anderen das geben können, was der gebraucht habe.
Vier Jahre dauert der Schwebezustand, dann stürzt Ende Dezember 2023 zu viel auf ihn ein, er bricht erschöpft zusammen. Er muss die Corona-Hilfe zurückzahlen, die er bekommen hat, weil er sich lange vor der Pandemie mit einem kreativen Handwerk selbstständig gemacht hatte. Was er dafür braucht, passt in einen Koffer. Es ist kalt im VW-Bus, die Klamotten sind klamm, er wird krank. Perspektiven brechen weg. Für die Arbeit fehlt ihm die Kraft, im Rückblick sagt Stefan Berger über sich: „Ich bin kein guter Geschäftsmann“.
Die Schuld für das Scheitern sucht er bei sich selbst. Seine Frau lässt ihn endgültig wissen, dass es kein Zurück mehr gibt. Schon als Kind, so erinnert er sich, hat er von einem Haus, einer Frau, von Kindern geträumt. Das alles gibt es nun nicht mehr. Was er sieht, sind Ruinen.
Das Schiff, so sagt er es, sei damals untergegangen. Die Zeit des Wartens ist vorbei. Der Pfeil habe ihn an der Achillesferse getroffen, dort, wo man sich nach Halt sehnt, nach Zugehörigkeit, nach Familie. Im Herzen allein zu sein, damit tut er sich schwer. Damals denkt er, jetzt machst Du noch zwei Schritte, dann brichst Du zusammen.
Er merkt: So schnell fällt man nicht tot um. „Zu viel Leben in sich, um zu sterben, und zu gebeutelt, um zu leben“: So sieht Stefan Berger das Leben, wie es sich noch vor Wochen vor ihm ausgebreitet hat. Wie so oft sind es Freunde, die ihm helfen. Sie lassen ihn bei sich wohnen, vielleicht klappt es auch mit einer kleinen Werkstatt.
Seine Matratze hat er aus dem VW-Bus in ein Zimmer getragen. Noch ist es dort kalt, es gibt kein Wasser. Das soll sich bald ändern, der Blick ist jetzt nach vorne gerichtet. Er geht zum Jobcenter. Es ist das erste Mal, dass er dort um Hilfe bittet.
Weil er eine Adresse braucht, die er nicht hat, geht Stefan Berger zur Wohnungslosenhilfe der Caritas, die für Haan, Mettmann und Erkrath zuständig ist. Er versucht, sein Leben in den Griff zu bekommen – und die Experten bei der Caritas helfen ihm dabei. Leicht fällt ihm das nicht, fünf Jahre Nomadenleben und der Kampf ums Überleben haben Spuren hinterlassen. Er will weiter selbstständig und kreativ sein. Er will Zeit mit seinen Kindern verbringen. Er will anderen Menschen das zurückgeben, was Freunde ihm gegeben haben.
Er will sich frei fühlen können, und dennoch weiß er: Es gibt Zwänge, man muss sich anpassen, der Alltag verlangt einem viel ab. Für sein Designer-Hemd aus dem Sozialkaufhaus hat ein anderer viel Geld bezahlt. Das geht nur, wenn man es auch verdient. Wenn man anders lebt, als er es sich für sich selbst vorstellt.
Es ist lange her, dass er in einem Kaufhaus war. Drei Hosen, zwei Pullover, mehr braucht er nicht. Er schaut über seine Kochkiste in die Weite und freut sich an dem, was er sieht. Er will seine Werte leben und sagt: „Ich bin für vieles auch dankbar“. Das Leben, so sieht er es, ist ein Reifen. Es gehe nicht darum, ein angenehmes Leben zu haben, stattdessen müsse man gut damit umgehen. Irgendwann, nach zwei Stunden, sagt Stefan Berger noch das: Seine Eltern haben sich scheiden lassen, als er zehn Jahre alt war. Die Mutter ist Deutsche, der Vater ist Franzose: Der Sohn pendelt zwischen zwei Welten. Wirklich zu Hause ist er nirgendwo.