Fast in Vergessenheit geratene Sportart Den Nachwuchs fürs Bügeln begeistern
Willich · Das Bügeln ist eine nahezu in Vergessenheit geratene Sportart. Der Boßel- und Bügelclub Willich will das ändern – und plant sogar eine Bambinimannschaft. Die Testkinder sind begeistert.
Mit beiden Händen hält Lea ihre Schüppe fest und gibt der Kugel vor ihren Füßen einen kräftigen Stoß. Wo die Kugel landet, ist eigentlich egal. Die Achtjährige hat auch so eine ganze Menge Spaß. „Es ist richtig, richtig cool“, sagt die baldige Drittklässlerin über das Bügeln. Das hat in diesem Fall nichts mit Haushaltsarbeiten zu tun, sondern dem Bügel im Boden, durch den die Spieler ihre Kugeln manövrieren wollen. Lea und sieben weitere Kinder sind an diesem Tag für ein Schnupperturnier beim Boßel- und Bügelclub (BBC) Willich – zur Nachwuchsgewinnung, wie der Verein hofft.
Das Spiel ist schnell erklärt: Gespielt wird auf einer Bahn, die zehn Meter lang und fünf Meter breit ist. Verwendet werden vier 4,5 bis fünf Kilogramm schwere Kunststoffkugeln, die mithilfe eines Schlägers oder einer Schüppe bewegt werden. Ziel ist es, die eigene Kugel von vorne durch den Eisenbügelbügel auf der Bahn zu spielen und gleichzeitig den Gegenspieler daran zu hindern, dass ihm dies gelingt. Es darf über die Banden gespielt werden, auch das Unterhaken und damit Kugeln Hochwerfen ist erlaubt.
Für die acht Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsfgrundschule im Mühlenfeld im Alter von sechs bis neun Jahren gibt es angepasste Regeln, der Club hat extra leichtere Kugeln angeschafft und kürzere Schüppen anfertigen lassen. Im Rahmen ihrer Ferienbetreuung sind die Wühlmäuse für einen Tag auf der Bahn an der Straße Am Domgarten, nachdem Betreuerin Ulrike Schumacher mit ihrem Mann auf den Boßel- und Bügelclub gestoßen war. „Es hat sofort großen Spaß gemacht“, sagt Schumacher und jubelt, als ihre Kugel durch den Bügel rollt. Ihre Kollegin Birgit Eckert ergänzt: „Keins der Kinder kannte den Sport vorher, aber sie haben alle sehr schnell Spaß und Ehrgeiz entwickelt.“
Der BBC Willich war einst ein glänzender Club. Eine Mannschaft spielte erfolgreich in der niederländischen Liga, wo der Sport viel bekannter ist, und auch den deutschen Meistertitel brachte es nach Willich. In der Corona-Pandemie aber löste sich das Team auf. Heute gehören noch zehn aktive und 20 passive Mitglieder dem BBC an, fast alle sind im Rentenalter, an Nachwuchsspielern mangelt es.
Dabei bietet der Club Sportsgeist, Geselligkeit und jede Menge Leidenschaft fürs Bügeln. „Der Sport wurde schon im 14. Jahrhundert schriftlich erwähnt, er ist eines der ältesten Kugelspiele überhaupt“, sagt Heinz Biederbick aus Vinkrath, der auch Gründungsmitglied des Bügelclubs Dorenburg in Grefrath ist. „In sieben Jahren wird er 700 Jahre alt.“
In den Wirren der Kriege am Niederrhein seien viele Bahnen kaputtgegangen. Manche seien zerbombt worden, auf anderen stünden heute Garagen, sagt der BBC-Vorsitzende Jochen Kock (87) und schüttelt den Kopf. Dann kam das Kegeln auf, das wiederum seit Jahren auch an Popularität verliert. Als er und Biederbick sich kennenlernten, machten sie aus dem Boßel- den Boßel- und Bügelclub. Bei der ersteren Sportart geht es um die Strecke, bei der zweiteren ums Ziel.
Als Untergrund fürs Bügeln braucht man einen festen Lehmboden. Er muss feucht gehalten werden, sonst bricht er. In Willich haben die Mitglieder Anfang der 2000er-Jahre ihre überdachte Bahn selbst gebaut, 2002 wurde sie eröffnet. Zweimal wöchentlich treffen sie sich zum Training. Ein Spiel kann 20 Minuten dauern, manchmal aber auch anderthalb Stunden, berichtet Biederbick. Die Taktik mache den Reiz aus, berichtet der 84-Jährige.
Nun will sich der Club neu aufstellen. Im vergangenen Jahr gab es erstmals ein Nikolausbügeln, für 2024 ist einiges geplant: eine Vereinsmeisterschaft, die Wiederaufnahme in die niederländische Liga, eine Feier zum 45-jährigen Bestehen des Vereins, ein regelmäßiger Stammtisch und die Gründung einer Bambinigruppe, um nur einige zu nennen. Dafür sind die Wühlmäuse da, demnächst kommen Schülerinnen und Schüler der Kolpingschule.
Die Wühlmäuse hat der Spaß am Bügeln auf jeden Fall schon einmal gepackt. Lea kündigt deswegen an: „Ich kann mir vorstellen, das noch mal zu machen, und dann bringe ich meinen Bruder und meine Eltern mit.“