100-prozentig Stillstand
Wuppertal. Die Jubelrufe aus dem Brauhaus waren verständlich. So eine Landtagswahl gebiert immer Gewinner und Verlierer. Da ist lautstarke Freude programmiert und ausdrücklich erwünscht.
Im Falle des Brauhauses war es am vergangenen Sonntag allerdings die SPD, die ja jubelte. Das war verwirrend. Schließlich wurde die sozialdemokratische Landesmutter just an diesem Abend schmerzhaft deutlich abgewählt. Dennoch Freude, dennoch Hurra, dennoch Gratulation an die Genossen Bialas, Neumann und Bell, die es, zwar gerupft, wieder in den NRW-Landtag geschafft haben. Die Freude sei ihnen von Herzen gegönnt, es geht ja auch um Einkommen und um Arbeitsplätze. Politisch hingegen gibt es keinen Grund für Ausgelassenheit.
Nachdem die Landes-SPD bereits am Montag beschlossen hatte, in die Fundamentalopposition zu gehen, sind die drei Wuppertaler SPD-Mandate nicht mehr viel wert, zumindest nicht für Wuppertal. Es ist jedenfalls kaum damit zu rechnen, dass eine schwarz-gelbe Regierung rote Abgeordnete mit finanziellen Lunchpaketen beispielsweise nach Wuppertal schickt.
Dass aber auch tolle Ergebnisse problematisch sein können, beweist die IHK. Deren Vollversammlung bestätigte am Dienstag ihren Präsidenten im Amt. Und zwar mit 100 Prozent der Stimmen. Schade.
Von einem Parlament, das seinen Vorsitzenden einstimmig wählt, ist nicht viel zu erwarten. Wo keine Kontroverse ist, entsteht keine Reibung, wo keine Reibung ist, entsteht keine Energie. Wo keine Energie ist, da ist Stillstand. 100-prozentig. Die SPD weiß das heute, ihr Schulz-Zug steht immer noch im Bahnhof.
All das ist sehr misslich, weil Wuppertal Impulse braucht. Doch während sich im Rathaus hoch bezahlte Beamte mit der Frage beschäftigen, ob es im Dezember in Elberfeld einen Weihnachtsmarkt gibt, und während im Zusammenhang mit der Sanierung des Engelshauses so getan wird, als stünde am 1. Januar 2020 zum 200. Geburtstags des Philosophen und Revolutionärs eine Million Chinesen vor der Tür, um ihres Helden zu gedenken, bleiben wirklich wichtige Fragen unbeantwortet.
Selbstverständlich ist die Nicht-Organisation eines Weihnachtsmarktes dilettantisch, natürlich wäre es schöner, wenn das Engelszentrum zum Beginn des Jubeljahres fertig wäre und nicht erst in dessen Herbst. Aber davon geht Wuppertal nicht unter. Davon nicht.
Aber diese Stadt hat immer noch skandalös zu wenig Plätze für Kinderbetreuung, immer noch sitzen viel zu viele Menschen auch deswegen auf den Fluren des Jobcenters, statt an Werkbänken Geld zu verdienen. Täglich steigt die Zahl der Straßen, in denen die Löcher knöcheltief sind. Die Jackstädt Stiftung gibt 5000 Euro, damit für wenigstens ein paar Kinder ordentliche Schulranzen gekauft werden könnten, die sonst mit Plastiktüten oder vielleicht auch gar nicht zum Unterricht gingen. Viel zu viele Schultoiletten sind schlicht eine Zumutung. Dagegen fallen Weihnachtsmärkte und Gedenkstätten in ihrer Bedeutung deutlich ab.
Es ist also nicht die Zeit für Fundamentalopposition. Wer ein Mandat erringt, hat auch die Bürger zu vertreten, die ihn nicht gewählt haben. Es ist auch nicht Zeit für Schadenfreude. Es ist höchste Zeit für konstruktive Auseinandersetzungen. Es ist Zeit für eine IHK, die wirklich ein Parlament der Wirtschaft ist, zur Not auch unangenehm und aufsässig. Es ist Zeit für Politiker und Stadtverwalter, die das Wichtige erkennen und das Richtige tun. Wenn das geschieht, wenn endlich die drängenden Fragen beantwortet werden, dann können in ein paar Jahren der IHK-Präsident und der Oberbürgermeister gern wiedergewählt werden. Wenn’s sein muss, auch mit 105 Prozent.