Bildung Im Jahr 2019 war ein Fünftel der neuen Lehrer Seiteneinsteiger

Wuppertal · Wer ohne Lehrramtsstudium unterrichten will, muss viele Hürden überwinden.

Anne Jonas-Ulbrich ist froh, endlich als Lehrerin fest angestellt zu sein. Anderen Bewerbern rät sie, nicht aufzugeben.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Obwohl Schulen händeringend Lehrkräfte suchen, wird Seiteneinsteigern der Weg an die Schule nicht leicht gemacht: Zudem wünschen sie und die Schulen sich eine bessere Ausbildung.

Nach Angaben des Schulministeriums NRW fehlen an Grund- und Förderschulen, Schulformen der Sekundarstufe I und Berufskollegs in den nächsten zehn Jahren 15 000 Lehrkräfte. An Gymnasien herrscht ein Mangel nur in einigen Fächern. Das Land hat unter anderem mehr Studienplätze geschaffen, spricht pensionierte Lehrer an und wirbt um Seiteneinsteiger. 6540 kamen 2019 in NRW in den Schuldienst – elf Prozent aller Lehrer-Neueinstellungen. In Wuppertal waren mit 36 sogar 19 Prozent aller neuen Lehrer Seiteneinsteiger.

Auch Anne Jonas-Ulbrich (40) ist Seiteneinsteigerin. Nach einem längeren Papierkrieg konnte sie nach den Weihnachtsferien endlich als fest angestellte Kunstlehrerin ihren Dienst an der Gesamtschule Uellendahl-Katernberg antreten. Dabei hatte die Bezirksregierung ihre Bewerbung erst abgelehnt. Jetzt kann sie sagen: „Ich fühle mich sehr wohl.“

Sie hat in Aachen Design studiert, ist vielen in Wuppertal auch bekannt als Inhaberin der Manufaktur „Liebesgruss“, die Kleidung und (Wuppertal-)Accessoires in der Boutique „17&wir“ im Luisenviertel verkauft. Daneben hat sie schon seit dem Studium an Schulen gearbeitet, Kunstprojekte mit Kindern und Jugendlichen gemacht.

Dass diese stets befristet waren, störte sie zunehmend. „Ich hatte total Lust, irgendwo anzukommen.“ Sie bewarb sich an der Gesamtschule Uellendahl-Katernberg, dort hätte man sie auch gewollt, sagt sie. Aber die Bezirksregierung forderte binnen einer Woche weitere Nachweise über ihr Studium. Sie schrieb 15 Seiten, zwei Monate hörte sie nichts, erhielt dann eine mündliche Absage. Frustrierend fand sie: „Zwölf Jahre Erfahrung zählen nicht, auch Arbeitszeugnisse nicht, das war absurd.“ Entscheidend seien wohl nur Formalien.

Ähnlich ging es Simon Binkenborn (38). Er hat einen Bachelor-Abschluss in Musik in Amsterdam gemacht, arbeitete als freier Musiker, dann als Vertretungslehrer. Bevor er fest angestellt wurde, musste er viele Unterlagen einreichen.

Ein Teil der Seiteneinsteiger ist vom Aufstieg ausgeschlossen

Wie bei Anne Jonas-Ulbrich führte sein Weg über eine einjährige „Pädagogische Einführung“ (PE) neben dem Unterricht. Danach erhielt er die Lehrerlaubnis für Musik, gilt aber nicht als „grundständig ausgebildeter Lehrer“. Dafür müsste er ein zweites Fach studieren und die OBAS-Ausbildung (siehe Kasten) machen, die anderthalb Jahre dauert, einem Referendariat ähnelt und mit einer Prüfung endet. Doch dafür hat man ihn bisher nicht zugelassen – auch weil sein Abschluss nicht ohne weiteres anerkannt wird. Ihn ärgert, dass er damit auf Dauer von Aufstieg und höherem Gehalt ausgeschlossen ist.

Lutz Wendel, Leiter der Gesamtschule Uellendahl-Katernberg, wünscht sich, dass der Zugang zur OBAS-Ausbildung erweitert wird. Weil die dann mögliche bessere Bezahlung gerechter sei und die neuen Kollegen besser ausgebildet werden. Wie andere Schulleiter ist er angewiesen auf Seiteneinsteiger: „In Chemie bin ich der einzige normal ausgebildete Lehrer an der Schule.“ Seine drei Kollegen seien über die OBAS-Ausbildung in den Beruf gekommen.

Reinold Mertens, Leiter des Carl-Fuhlrott-Gymnasiums (CFG), berichtet, dass sie für das Fach Informatik gezielt an die Uni gegangen sind, jetzt eine Kollegin die OBAS-Ausbildung durchläuft. Doch die Möglichkeit zum Seiteneinstieg „kann nur eine Notlösung sein“, betont er. Da die neuen Kollegen vom ersten Tag an unterrichten müssten, bräuchten sie Hilfe der erfahrenen Kollegen.

Michael Goecke, Vorsitzender der Gewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) Wuppertal, spricht von einer „zwiegespaltenen Sicht“ auf den Seiteneinstieg. Auch er wünscht sich mehr Vorbereitung der neuen Kollegen, bevor sie unterrichten. Als Leiter einer Grundschule weiß er, dass an Grundschulen nur der PE-Einstieg möglich ist. Theoretisch dürften diese Lehrer nur ein Fach unterrichten, in der Praxis würden sie aber oft für weitere Fächer eingesetzt. Aber ohne sie könne der Lehrermangel nicht aufgefangen werden.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) findet die PE-Ausbildung „völlig unzureichend“ und fordert mehr Möglichkeiten zur Fortbildung. Seiteneinsteiger dürften „nicht dauerhaft Lehrkräfte zweiter Klasse bleiben“.