Angebliche Vergewaltigung: Nicht genug Beweise für ein Urteil
Ein schwieriges Beziehungsgeflecht zwischen vermeintlichem Opfer und Täter gibt dem Landgericht Rätsel auf.
Wuppertal. Es war eine schwere Entscheidung, vor der der Vorsitzende Richter Ralph von Bargen in dieser Woche stand. In einem Berufungsverfahren musste sich ein 22 Jahre alter Wuppertaler wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung vor dem Wuppertaler Landgericht verantworten. In erster Instanz hatte das Amtsgericht den Mann bereits freigesprochen. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Doch zu einer Verurteilung kam es vorerst nicht.
Denn jegliche Versuche des Richters, Licht in die Verwicklungen von angeblichem Täter und Opfer zu bringen, scheiterten. So musste Ralph von Bargen nach mehr als drei Stunden feststellen: "Mich haben weder die Einlassungen des Angeklagten überzeugt noch die Aussage der Zeugin." Die Glaubwürdigkeit der Zeugin sei zu zweifelhaft, um allein aufgrund ihrer Aussage ein Urteil zu fällen. Sein Rat an die Staatsanwaltschaft: "Denken Sie darüber nach, die Berufung zurückzuziehen."
Folgender Sachverhalt gibt dem Richter Rätsel auf: Der 22-jährige Angeklagte, der als Kellner im Restaurant seines Vaters arbeitet, soll am 23. August 2006 seine Nachbarin vergewaltigt haben. Unstrittig ist dabei, dass sich die Frau (21) freiwillig in sein Schlafzimmer begeben hatte. Während sie jedoch behauptet, es sei gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gekommen, bestritt er bis zuletzt die Tat.
Ohnehin schwer zu durchschauen war indes die Beziehung zwischen den beiden, die im selben Haus auf dem selben Flur wohnten. Trotz jeweils fester Beziehungen hatten sie zwischen Mai und Anfang August 2006 eine sexuelle Beziehung miteinander. Zusätzlich dazu hatte das mutmaßliche Opfer auch noch eine sexuelle Beziehung zum Bruder des Angeklagten - Sex zu dritt inklusive. Ferner sagte sie aus, sie habe des Öfteren keine Lust auf Sex gehabt, aber dem Drängen des Angeklagten schließlich nachgegeben. "Ich kann schlecht ,nein’ sagen", sagte die Ausbildungssuchende später dazu.
Doch zum Zeitpunkt der angeblichen Tat Ende August 2006 habe sie keinen Sex mehr mit dem Angeklagten gehabt, stellte die zierliche Frau klar. Damals habe sie wieder mit ihrem Ex-Freund angebändelt, der sie zwischenzeitlich wegen einer anderen Frau verlassen hatte, aber auch von ihren Seitensprüngen mit dem Angeklagten nichts gewusst habe. Dennoch sei es üblich gewesen, dass man abends vor dem Schlafengehen noch bei dem anderen vorbeigeschaut und "gute Nacht" gewünscht habe.
So sei es auch am Tatabend gewesen, als die Frau in bettgehfertigem Outfit den Angeklagten auf seinen Wunsch besuchte. Der 22-Jährige habe auf seinem Bett gelegen, doch sie habe sich nichts dabei gedacht, erzählte sie auf die eindringlichen Fragen des Richters. Dann habe er um Sex gebettelt. Als sie sich wehrte und "Nein" gesagt habe, habe er gelacht und gesagt: "Du hast Power, das macht mich geil!" Er habe sie mit seinen Knien fixiert, ihr dann die Hose heruntergezogen und habe sie vergewaltigt. Dann habe sie ihn wegstoßen können und sei in ihre Wohnung geflüchtet, so die Zeugin.
Erst ein paar Tage später habe sie ihrem Ex-Freund davon erzählt, der den Angeklagten dann am Telefon bedroht habe. Dieser wiederum habe dann ihr gedroht, er werde Leute auf sie hetzen, die ihr alle Zähne ausschlagen würden. Völlig in Tränen aufgelöst habe sie dann eine Nachbarin gefunden, die sie überredete, zur Polizei zu gehen.
Doch die Aussagen der Frau gegenüber der Nachbarin und einer Freundin sowie in der Strafanzeige der Polizei widersprachen dem, was die Frau später vor Gericht zu den Vorfällen sagte. Sie boten damit keine Grundlage für den Richter, den Angeklagten zu verurteilen. "Es mag sein, dass ich an jenem Abend Dinge ereigneten, die strafwürdig sind", erklärte von Bargen, "aber anhand dieser Aussagen lässt sich das nicht beweisen."