Armut, Arbeit, Gerechtigkeit
Als Ende November 2017 rund hundert Teilnehmer in sechs Gruppen die Arbeit für das „Bündnis gegen Armut — für soziale Gerechtigkeit“ aufnahmen, wurde bedauert, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt kein Vertreter eines Wuppertaler Unternehmens engagiert hatte.
Man könnte auch sagen, die Teilnehmer bedauerten einen gravierenden Geburtsfehler eines gut gemeinten Projekts, dem allerdings eine entscheidende Grundlage fehlt: Armut ist in den allermeisten Fällen mit Arbeitslosigkeit oder dem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden. Armut entsteht, wenn schlecht bezahlte Jobs nicht zum Überleben ausreichen.
Gerechtigkeit lässt sich in einer Stadt aber selbst bei bestem Willen ohne die Einbeziehung der Arbeitgeber nicht erzielen. Das gilt insbesondere für Wuppertal, wo zum Jahreswechsel 31 413 Menschen ohne Arbeit waren, die somit nicht aus eigener Kraft ihre Familien ernähren können.
31 413 — so groß ist die Zahl der Unterbeschäftigten, die alle Arbeitslosen sowie die Teilnehmer an Aktivierungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen sowie Arbeitsgelegenheiten umfasst. Die Unterbeschäftigungsquote von 16,5 Prozent drückt das wahre Ausmaß des Problems viel deutlicher aus als die aktuell auf 8,7 Prozent gesunkene Arbeitslosenquote. Der Agentur für Arbeit ist es zu danken, dass sie seit einigen Monaten immer wieder mit Nachdruck darauf hinweist, dass die sinkende Arbeitslosenquote in Wuppertal nur die eine Seite der Medaille ist.
Die Konsequenz: Das „Bündnis gegen Armut — für soziale Gerechtigkeit“, das Oberbürgermeister Andreas Mucke und Sozialdezernent Stefan Kühn angestoßen haben, muss auf breitere Füße gestellt werden. Eine Möglichkeit bestünde darin, das Bündnis mit dem Projekt „Weiterbilden - weiterkommen“ zu vernetzen. Die Bundesagentur für Arbeit Solingen-Wuppertal, die Vereinigung Bergischer Unternehmerverbände (VBU) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wollen dem Verlust von Fachkompetenz in den Firmen entgegenwirken, indem sie die Unternehmen dazu motivieren, ungelernte Arbeiter zu Fachkräften auszubilden. Die Qualifizierung der Mitarbeiter schützt diese bei steigenden Anforderungen im Zuge der Digitalisierung vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Auf der anderen Seite beugen Unternehmen dem altersbedingten Fachkräfteschwund durch den demografischen Wandel vor.
Dies ist sicher nur ein Beispiel, aber es zeigt, dass Bündnisse für mehr Beschäftigung in Wuppertal und gegen den Absturz von noch mehr Menschen in prekäre Verhältnisse unter Einbeziehung aller Ebenen gelingen können — ohne die Arbeitgeber gewiss nicht. Was kann die Stadtverwaltung im Bündnis gegen Armut tun? Was kann die Kommunalpolitik tun? Hilfreich wäre, das Problem der Armut und der Arbeitslosigkeit als ein wachsendes Problem zu benennen. Und zu erkennen, dass es die negative Kraft hat, die Stadtgesellschaft zu spalten. Die wachsende Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist die helle Seite der Medaille. Mehr Menschen in Arbeit sind ein Indiz dafür, dass sich die Stadt nicht in einer aussichtslosen Lage befindet.
Eine Chance bietet eventuell die Besetzung des fünften Dezernats im Verwaltungsvorstand. Wie wäre es mit einem Dezernat für Wirtschaftspolitik und Beschäftigungsförderung? Wie wäre es — ohne ideologische Grabenkriege — mit einem institutionalisierten Austausch zwischen Stadt und Unternehmen — unter Einbeziehung der Wirtschaftsförderung, des Jobcenters, der Arbeitsagentur und der Gewerkschaften. Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Energiewende und Mobilität könnten gleich mit eingebunden werden. Mehr gerecht bezahlte Arbeit, mehr Gerechtigkeit bei Bildung und Ausbildung — weniger Armut. Diese Formel könnte aufgehen.